Kommentar |
Eine Frau, die im Herzen des Mannes wohnt, die es eingenommen hat; ein Mann, der diese belagerte ›Burg‹ in seinem Innern zurückgewinnen will und gleichzeitig versucht, in die ›Herzenskammer‹ der Dame einzudringen. Minne kann ein Kampf sein, ein Krieg, ist aber gleichzeitig immer poetisches Spiel.
Teils über ausdrucksstarke Bildlichkeit, teils über abstrakte Reflexionen wird in der mittelalterlichen Minnelyrik die Frage Waz ist minne? immer wieder neu verhandelt. Dabei bietet Literatur einen Raum, vollkommene Ritterlichkeit und vollendete Höfischheit zu inszenieren: Wo im Alltag gesellschaftliche Spannungen und Kriege herrschen, kann in der Literatur ein Ideal entworfen werden, das den Rezipienten als Leit- und Vorbild dienen soll. Die ›Hohe Minne‹ spiegelt adlige Herrschaftsideale und dient der höfischen Selbstdarstellung. Das lyrische Ich als Minnedienstleistender verkörpert kollektive Leitideen, welche im lyrischen Vortrag demonstrativ zur Schau gestellt werden können. Sie werden für alle Anwesenden erfahrbar und im Vortrag rituell vollzogen.
Gleichzeitig ist Minnelyrik Rollenlyrik, bei der das lyrische Ich und die Minnedame nach bestimmten Stereotypen konstruiert werden; verschiedene Topoi werden immer wieder aufgegriffen, variiert und neu kombiniert. Dabei bewegen sich die Lieder im Spannungsfeld von Innovation und Tradition – und die sogenannte ›Hohe Minne‹ ist nur eine der verschiedenen Spielarten mittelalterlicher Minnelyrik, denen wir in diesem Seminar auf den Grund gehen wollen.
Das Seminar findet digital (via Teams) statt. |