Ein Ehemann, der bei lebendigem Leib begraben wird;
ein Pfarrer, der gleich fünfmal getötet wird;
und ein vom Körper abgetrenntes männliches Genital, das sein neues Zuhause in einem Nonnenkloster sucht…
Bereits diese kleine Auswahl an Themen veranschaulicht, dass Komik und Grausamkeit in der mittelalterlichen Kleinepik oftmals eine Verbindung eingehen, die Rezipienten des 21. Jahrhunderts ein eher unbehagliches Lachen abringt. Während die Anfänge dieses novellistischen Erzählens im 13. Jahrhundert noch ganz dezidiert moralisch-didaktische Absichten erkennen lassen, scheint die weitere Entwicklung der Gattung insbesondere geprägt durch die schwankhafte Inszenierung sämtlicher Fallstricke auf dem Gebiet ‘Liebe und Sexualität’. Im Spätmittelalter schließlich gerät das Groteske, Makabre und Obszöne sukzessive stärker in den Vordergrund, weswegen in der Forschung auch von einer „Freisetzung des Bösen“ (Grubmüller) gesprochen wurde.
In unserem Seminar wird sich die literatur- und kulturwissenschaftliche Analyse nicht in der Diskussion um die Begriffe ‘Novellistik’ vs. ‘Märendichtung’ bzw. in Fragen der Abgrenzung zu anderen literarischen Gattungen (wie etwa dem bîspel oder dem Exempel) erschöpfen. Vielmehr soll es darum gehen, die experimentellen Erzählverfahren kennenzulernen, die diese Gattung prägen wie wohl kaum eine andere. Ein besonderes Augenmerk gilt dabei der Alterität, die im Rahmen der Auseinandersetzung mit den vormodernen Texten erfahrbar wird: Gender-Konstruktionen spielen hier eine ebenso wichtige Rolle wie die Frage, ob – und wenn ja, inwieweit – Lachen kulturspezifisch ist. |