Kurzkommentar |
Den Gegenstand des Proseminars bilden drei literarische Kurzformen, die weit zurückreichende Einflusslinien besitzen und in der Geschichte der Literatur eine immense Bedeutung entfaltet haben. Fabel, Parabel und Gleichnis sind durch berühmte Beispiele von Lessing bis Kafka bekannt. Es handelt sich um kurze fiktionale Erzähltexte der uneigentlichen Rede, die sich mit Blick auf ihre gattungsgeschichtliche, strukturelle und intentionale Eigenart abgrenzen lassen. So stammen Gleichnisse als besondere Form der Redeweise Jesu aus der jüdisch-christlichen Literaturtradition, während die deutschsprachige Fabeldichtung auf den griechischen Textcorpus eines Dichters namens Äsop referiert. Strukturell betrachtet präsentieren alle drei Textsorten eine Bildhälfte, die in unterschiedlicher Intensität amimetisch reduziert ist und in Elemente der dahinterliegenden Sachhälfte übersetzt werden muss. Fabel, Parabel und Gleichnis bedürfen also in besonderer Weise der Deutung. Der latente Textsinn kann explizit formuliert sein, in der Fabel etwa durch einen nachgestellten Lehrsatz (Epimythion), im Gleichnis durch die ausdrückliche Nennung der Sachhälfte anhand eines Transfersignals (z.B. „wie"). Dagegen wird in Parabeln das Gemeinte in der Regel nicht explizit mitgeteilt und muss vom Leser selbst erschlossen werden. Das macht den besonderen Reiz und die potentielle Vieldeutigkeit der Gattung aus.
Die Lehrveranstaltung bietet einen systematischen und einen historischen Aspekt. Ausgehend von der terminologischen Abgrenzung der Begriffe Fabel, Parabel und Gleichnis werden wir zunächst Kernmerkmale der Gattungen anhand von Mustertexten bestimmen und notwendige Voraussetzungen für die Analyse und Interpretation erarbeiten. Anschließend schreiten wir chronologisch voran, befassen uns mit verschiedenen Gattungstheorien und deren exemplarischer Anwendung in der literarischen Produktion, erhalten Einblick in die Fortschreibungs- und Bearbeitungspraxis tradierter Fabel- und Parabelstoffe und erkennen einerseits die historische Gebundenheit, andererseits die Offenheit der Gattungsbegriffe mit Blick auf innovative Gestaltungsweisen.
Für die Lehrveranstaltung ist ein Kurs in MS Teams eingerichtet, zu dem alle in HIS-LSF angemeldeten TeilnehmerInnen vor Vorlesungsbeginn Zugang über einen Code erhalten. Hier werden alle Primärtexte und Materialien zur Verfügung gestellt. Das Proseminar wird durch eine schriftliche Hausarbeit mit thematischem Schwerpunkt abgeschlossen.
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