Kommentar |
Das sprichwörtliche Bild vom armen Poeten, der frierend und hungrig in einer undichten Dachkammer seine Verse zu Papier bringt, spricht nicht gerade dafür, der Literatur und ihren Verfasser*innen große Kompetenzen in finanziellen Angelegenheiten zuzutrauen. Als emblematische literarische Figur des 19. Jahrhunderts hat der poète maudit mindestens insofern bis in die Gegenwart überlebt, als auch heute literarische Berufe kaum für ein primär an Profit und Bilanzen interessiertes Lebensmodell geeignet sind. Oft halten etwas abseitige Positionen aber bekanntlich die Möglichkeit zu kritischer Distanz und überraschenden Erkenntnissen bereit. Und tatsächlich ist das Thema Geld nicht nur ein Dauerbrenner in Alltag und Politik, sondern die ökonomisch bedingten Erfahrungsstrukturen einer Zeit und einer Gesellschaft prägen auch ihre künstlerisch-literarischen Produktionen. Theoretiker*innen betonen sogar eine besondere Gemeinsamkeit zwischen Sprache und Geld in ihrer Eigenschaft als Symbole, die nur durch Konvention an ihre ‚Deckung‘ – semiotische Referenten bzw. ökonomische Güter – gebunden sind. Und spätestens seit während der globalen Finanzkrise vor 10 Jahren deutlich wurde, dass die kalkulatorischen Modelle der traditionellen Wirtschaftswissenschaften keine Rechenschaft für die Vorgänge in der Finanzwirtschaft zu geben vermochten, ist diese dem Bereich der Undarstellbarkeit – einem der klassischen Bereiche des Künstlerischen – zugefallen. Gründe genug, den schnöden Mammon mal nicht aus wirtschaftswissenschaftlicher, sondern aus der Perspektive von Dichter*innen und Literaturwissenschaftler*innen zu betrachten. Wir werden uns im Seminar nach einem einführenden theoretischen und historischen Überblick zum sogenannten homo oeconomicus und seinen Figurationen in der Literatur mit der Inszenierung von Finanzen in literarischen Werken der Romania beschäftigen, vornehmlich mit französischsprachigen und spanischsprachigen Werken aus der Zeit vom Ende des 19. und vom Anfang des 20. Jahrhunderts, als im Kontext von gesellschaftlichen Krisen und Umbrüchen die herrschende ökonomische Organisation z.T. radikal in Frage gestellt wurde. Besondere Aufmerksamkeit werden wir der literarischen Ausbuchstabierung von Fantasien über alternative Modelle des gesellschaftlichen Warentauschs widmen. |
Literatur |
Auf dem Seminarprogramm stehen folgende Werke (z.T. in Auszügen):
Charles Baudelaire: Petits Poèmes en prose (1869) Jacinto Benavente: Los intereses creados (1907) Juana de Ibarbourou: Las lenguas de diamante (1922) Federico García Lorca: Poeta en Nueva York (1929) Miguel Mihura: Tres sombreros de copa (1932) Miguel Hernández: Viento del pueblo (1937) Ricardo Piglia: Plata quemada (1997) Alex Pina: La casa de papel (TV-Serie, 2017)
Theorie: Simmel, Georg: Philosophie des Geldes (1900/1907) Walter Benjamin: Kapitalismus als Religion (1921) Marcel Mauss: Essai sur le don (1925) Georges Bataille: La notion de dépense (1933) Joseph Vogl: Kalkül und Leidenschaft. Poetik des ökonomischen Menschen (2002) Franco Berardi: On poetry and finance (2012) |