Kurzkommentar |
Am Anfang der literarischen Epoche des Barock steht die Forderung nach einer Reform der deutschsprachigen Poesie, die in dem Regelwerk des schlesischen Dichters Martin Opitz, dem Buch von der Deutschen Poeterey (1624), seinen wirkmächtigen Ausdruck findet. Den hier formulierten poetisch-normativen Prämissen, im Bereich der Metrik etwa die Forderung nach strenger Alternation der Silbenbetonung und die Etablierung des Jambus und Trochäus als dem Deutschen gemäße Versfüße, fühlen sich ganze Dichtergenerationen verpflichtet. Diese Literaten verstehen sich nicht als Originalgenies, sondern als poetae docti und Verseschmiede, die den strengen Regeln der Rhetorik und Stilistik folgend angemessene, nützliche und unterhaltsame Texte für eine gebildete Leserschaft verfassen. Insbesondere die deutschsprachige Lyrik des 17. Jahrhunderts bietet eine ganze Reihe versifizierter Mustertexte, die die starke rhetorische und auf affizierende Wirkung ausgerichtete Durchformung barocker Dichtkunst illustrieren. Die Gedichte zeugen von einer formalen wie inhaltlichen Komplexität. Das widerspruchsvolle Lebensgefühl des 17. Jahrhunderts, das von Kriegsbegeisterung und pazifistischen Utopien, absolutistischem Repräsentationswillen und humanitären Katastrophen, Lebenslust und Todessehnsucht geprägt ist, findet seinen adäquaten Ausdruck in scharfsinniger Antithetik, opulenten Schmuckmetaphern, virtuoser Wortkombinatorik, emblematischer Wort-Bild-Kunst sowie Sinnbildern und Symbolen biblischer und mythologischer Provenienz. Die Vielseitigkeit der Barocklyrik geht dabei weit über die diametralen Motive der vanitas und des carpe diem und über das literarische Œuvre des wohl prominentesten Barockautors, Andreas Gryphius, hinaus. Die produktive Rezeption literarischer Vorbilder, wie sie sich etwa im deutschsprachigen Petrarkismus und Antipetrarkismus oder in der galanten Lyrik Christian Hoffmann von Hoffmannswaldaus manifestiert, das breite Repertoir geistlicher Lyrik, das vom protestantischen Kirchenlied Paul Gerhardts bis zur Barock-Mystik Regina Catharina von Greiffenbergs und Friedrich von Spees reicht, und das Aufbrechen der traditionellen Rollenlyrik im Spätbarock (Johann Christian Günther) sind literaturgeschichtlich hoch interessante Themen, die den enormen Willen zur Etablierung des Deutschen als Literatursprache und die erhoffte Anschlussfähigkeit deutschsprachiger Poesie an die europäische Literatur dokumentieren.
Das Seminar bietet einen systematischen und thematisch ausgerichteten Überblick über die Lyrik des 17. Jahrhunderts. An eine fundierte Einführung in die literaturgeschichtlich relevanten Kontexte des 17. Jahrhunderts, unter besonderer Berücksichtigung der nicht unproblematischen Epochenbezeichnung "Barock", schließt sich die sorgfältige Lektüre, methodische Analyse und Deutung einer ganzen Reihe hoch kanonisierter Gedichte an. In exemplarischen und textimmanenten Einzelinterpretationen, Fassungsvergleichen und Gegenüberstellungen motiv- und themenverwandter Texte werden zentrale literaturwissenschaftliche Arbeitstechniken eingeübt und grundsätzliche inhaltliche und formale Voraussetzungen für die Abfassung der literaturwissenschaftlichen Hausarbeit am Ende des Semesters geschaffen. |