Kommentar |
Feuersbrünste, Seuchen, Erdbeben, Schiffbrüche, Bergstürze, Heuschreckenplagen, Dürre und Stürme, aber auch Kriege und Gewaltexzesse – Katastrophen können in vielfältiger Form auftreten. Katastrophen werden zu solchen aber erst durch die Wahrnehmung des Menschen: Ereignisse, die ihn in ihrer verheerenden Wirkung überwältigen. Sie zu fassen, für das Sprachlos-Machende einen Ausdruck zu finden, ist von jeher eine besondere Aufgabe der Literatur gewesen. Im Seminar beschäftigen wir uns mit Beispielen aus dem 17. und 18. Jahrhundert, was einen spannungsreichen Rahmen für die Betrachtung von früher Katastrophenliteratur abgibt: zwischen theozentrischen und säkularen Deutungen, zwischen Sinngebungsversuchen und dem Verzweifeln daran. In diesem Spannungsfeld bewegt sich etwa Voltaires berühmtes „Gedicht über die Katastrophe von Lissabon oder Prüfung des Grundsatzes ‚Alles ist gut‘” (1756, mit 20 Auflagen im ersten Jahr der Veröffentlichung). Das Erdbeben von Lissabon im Jahr 1755 wird einen Schwerpunkt im Seminar bilden, denn es war in mehrfacher Weise ein Wendepunkt in der Kulturgeschichte: ein paradigmatisches Ereignis, das prägend in das kulturelle Gedächtnis der Zeitgenossen eingegangen ist und eine vorher nicht gekannte mediale Wirkung entfaltet hat. Lieberkühns Drama „Die Lissabonner, ein bürgerliches Trauerspiel” (UA 1757) wird uns in diesem Umfeld beschäftigen, ebenso wie verschiedene Gedichte und noch Übertragungen wie Pestalozzis Fabel „Das Erdbeben, ein Traum” (1797), in der er die Französische Revolution mit dem Erdbeben vergleicht, und die später entstandene Erzählung Kleists „Das Erdbeben in Chili” (1807), das sich auf ein historisch anderes Erdbeben bezieht, aber unter dem Eindruck des Katastrophendiskurses steht, der sich ausgehend vom Lissaboner Fall entwickelt hat. Beginnen aber werden wir mit einem Text von Andreas Gryphius: „Fewrige Freystadt” von 1637, der die Zerstörung der schlesischen Stadt Freystadt durch Feuer schildert, wobei er eine merkwürdige Zwischenposition zwischen Bericht und Fiktion einnimmt. Der Lektüreplan des Seminars wird in der ersten Sitzung gemeinsam festgelegt.
Teilnahmevoraussetzung: regelmäßige und aktive Teilnahme, Übernahme eines Beitrags (Impulsreferat)
Note: schriftliche Hausarbeit oder Klausur (nach Maßgabe der jew. Modulvorgaben) |