Eine typisch moderne Betrachtungsweise von Religion ist ihre Psychologisierung, wodurch
Religionspsychologie – implizit oder explizit – mitunter auch Religionskritik bedeutet. Die
psychologische Lesart betont gegenüber der Metaphysik transzendenter Wesenheiten vor allem die
Originalität und Kreativität seelischer Erfahrungswelten. Religiöse Wahrheiten, mithin Gott,
erscheinen demzufolge nicht primär als extern 'gegeben', sondern vielmehr als Ausdruck und
Resultat psychischer Grundbedürfnisse und Funktionen. Diese Perspektive steht jedoch nicht
zwangsläufig im Widerspruch zum Glauben oder gar zur Anerkennung von Religion. Vielmehr
nehmen die religionspsychologischen Konzepte – neben vereinzelt pathologisierenden und
entwertenden Tendenzen – religiöse Glaubensüberzeugungen als solche ernst und erheben den
Glauben selbst zum Gegenstand ihrer Forschungen. Von besonderem Interesse ist dabei die Frage,
wie die psychische Matrix religiöser Ideen und Praktiken mit kulturellen Diskursen und Bräuchen
verbunden ist.
Vor diesem Hintergrund beschäftigt sich das Seminar mit verschiedenen religionspsychologischen
Theorien und Befunden, die neben psychoanalytischen Erklärungsmodellen vor allem
kulturpsychologische und -historische Überlegungen beinhalten. Anhand der Wechselwirkung
zwischen kollektiven Erzählungen und Symbolen einerseits und individuellen Gefühls- und
Gedankenwelten andererseits, folgt das Seminar der Spur einer kulturpsychologisch informierten
Religionspsychologie, die Religion als psychisch und transzendent zugleich begreift.