Kommentar |
Die historische Forschung ging lange Zeit von einer fortschreitenden und unaufhaltsamen Abnahme der (gesellschaftlichen) Bedeutung von Religion und Religiosität in der Moderne aus. Entgegen dieser Annahme einer linear verlaufenden Säkularisierung aber lässt sich ein Zugewinn der Bedeutung von Religion, Religiosität und Frömmigkeit im Verlauf des 19. Jahrhunderts feststellen. Zudem verfestigten sich im „bürgerlichen Jahrhundert“ Idealbilder von geschlechtsspezifischem Verhalten und von Normen des Verhältnisses der Geschlechter, die komplementär und polarisierend zueinander gedacht wurden. Frömmigkeit und Religiosität wurde in diesem Zusammenhang vornehmlich dem weiblichen (und häuslichen) Bereich zugewiesen. Und tatsächlich lassen sich zahlreiche Belege für eine solche Einordnung finden: Frauen nahmen häufiger an Gottesdiensten, Pilger- und Wallfahrten teil, weibliche Orden und Kongregationen erfuhren vermehrt Zulauf und zahlreiche Frömmigkeitspraktiken galten als spezifisch weiblich. Die aus diesen Befunden entwickelte These einer „Feminisierung“ der Religion im 19. Jahrhundert nimmt die Übung kritisch unter die Lupe und fragt nach Ausprägungen weiblicher und männlicher Frömmigkeit sowie den jeweiligen Handlungsspielräumen sowie der Wandlung religiös geprägter Geschlechterbilder und Geschlechterrollen an den Schnittstellen von Religion und Lebenswelt. |
Literatur |
Selina Krause: „Marienkinder“ im Katholizismus des 19. Jahrhunderts. Religiosität, Weiblichkeit und katholische Gesellschaftsbildung. Berlin 2010; Patrick Pasture u.a. (Hrsg.), Gender and Christianity in Modern Europe. Beyond the Feminization Thesis, Leuven 2012;
Bernhard Schneider: Feminisierung der Religion im 19. Jahrhundert. Perspektiven einer These im Kontext des deutschen Katholizismus, in: Trierer theologische Zeitschrift 111/2 (2002), S. 123-147; Michaela Sohn-Kronthaler (Hrsg.): Feminisierung oder (Re)Maskulinisierung der Religion im 19. und 20. Jahrhundert? Forschungsbeiträge aus Christentum, Judentum und Islam, Graz 2016. |