Kommentar |
1942 erschien im Untergrund in Frankreich der erste Widerstandsroman: „Le silence de la mer“. Darin wird die Beziehung eines deutschen Offiziers zu einer jungen Französin beschrieben, bei der er einquartiert ist. Diese Darstellung des deutsch-französischen Verhältnisses, bei dem der französische Part von einer Frau und der deutsche von einem Mann verkörpert werden, findet sich seit dem 19. Jahrhundert in zahlreichen Texten und Filmen und dient zur Vermittlung nationaler Klischees: die verführerische, sanfte Französin zieht den virilen, dominanten Deutschen in ihren Bann, um ihn zu zähmen. Neben diesen rein fiktionalen erotischen Beziehungen hat es aber in der Realität während des Zweiten Weltkriegs tatsächlich auch eine massenhafte Begegnung von Männern und Frauen beidseits des Rheins gegeben: da waren zum einen die rund 1,6 Millionen französische Kriegsgefangene in Deutschland und mehrere Hunderttausend französische Zwangsarbeiter und da waren die deutschen Soldaten in Frankreich: die Zahlen schwanken zwischen 400.000 und 1 Million. Dass diese Begegnungen zwangsläufig auch zu Liebesbeziehungen führten und Kinder daraus hervorgingen, wurde bis in die jüngste Vergangenheit tabuisiert. Erst die Ausstrahlung eines Dokumentarfilms zu den „Enfants de Boches“ im französischen Fernsehen im Jahr 2003 hat zu einer breiteren Auseinandersetzung mit dem Thema geführt. Ziel des Seminars ist es zunächst, diese Geschichte anhand der vorliegenden Sekundärliteratur genauer zu betrachten. In einem zweiten Schritt sollen dann ausgewählte Filme und Romane auf die Darstellung der Liebesbeziehungen hin untersucht und gefragt werden, welche nationale Stereotypen darin zum Ausdruck kommen und ob sich diese im Lauf der Zeit womöglich ändern. In dem 2007 gezeigten Fernsehfilm „Die Flucht“ beispielsweise ist die klassische Konstellation (Sie – Französin/ Er – Deutscher) in der Darstellung der Liebesbeziehung der ostpreußischen Gräfin von Mahlenberg zum französischen Zwangsarbeiter François Beauvais aufgegeben worden. Auch der Roman „J’ai vécu en ces temps“ von Olivier Todd nimmt eine ungewöhnliche und neuartige Gestaltung des klassischen Stoffes einer Liebesbeziehung zwischen Deutschen und Franzosen vor.
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Literatur |
Filme: „Le silence de la mer“ (1949), Regie : Jean-Pierre Melville nach dem Roman von Vercors Hiroshima, mon amour (1959), Regie: Alain Resnais „Die Flucht“ (2007), Regie: Kai Wessel Verlorenes Land (2002), Regie: Jo Baier
Literatur: Olivier Todd : J’ai vécu en ces temps. Paris, 2012 Jean-Claude Bibloque : Fils de boche. Paris, 2001 Valentine, Goby : L’échappée. Paris, 2007 Josiane, Krüger : Née d’amours interdites… Paris, 2006 Klaus Harpprecht : Arletty und ihr deutscher Offizier. Eine Liebe in Zeiten des Krieges. Frankfurt a.M. 2012 Klaus-Peter Schmidt: Das rästelhafte Testament. Berlin, 2012
Sekundärliteratur : Michel Treguer : Avec le temps. Chronique d’un village breton sous l’occupation allemande. Brest, 2010 Fabrice Virgili : Naître ennemi. Les enfants des couples franco-allemands nés pendant la Seconde Guerre Mondiale. Paris, 2009 Jean-Paul Picaper et Ludwig Norz : Enfants maudits. Paris, 2004, Ruth Florack: “Weiber sind wie Franzosen geborene Weltleute. Zur Verschränkung von Geschlechterklischees und nationalen Wahrnehmungsmustern. In: Ruth Florack (Hg.) : Nation als Stereotyp. Fremdwahrnehmung und Identität in französischer und deutscher Literatur. Tübingen 2000 Nagelschmidt, Probst, Erdbrügger (Hg.): Geschlechtergedächtnisse. Genderkonstellationen und Erinnerungsmuster in Literatur und Film der Gegenwart. Berlin, 2010 Zwangsarbeit in Saarbrücken. Ausländische Zivilarbeiter und Kriegsgefangene. 1940-1945. St. Ingbert, 2004 Helga Bories-Sawala: Franzosen im "Reichseinsatz". Deportation, Zwangsarbeit, Alltag - Erfahrungen und Erinnerungen von Kriegsgefangenen und Zivilarbeitern. Frankfurt a.M., 1996 |