Kommentar |
Im frühen 21. Jahrhundert ist eine kritische Reflexion unseres Konsums Normalität – ebenso wie eine Billig-Mentalität offenkundig unsere Einkaufspraxen dominiert. PR-Experten der Werbeindustrie sind die neuen Brüder Grimm. Sie erzählen Produktgeschichten und erschaffen Warenbilder, welche Produktionskontexte systematisch verschleiern und Brücken zwischen Markenimage und Lifestyle-Sehnsucht bauen – häufig gar mit „grünem“ Anstrich. Medien, Verbraucherzentralen und NGOs gehen regelmäßig auf die Barrikaden, rufen ein „Ende der Märchenstunde“ aus. Für die breite Bevölkerung wächst indes die Schwierigkeit, sich in einer zunehmend komplexen Welt zurechtzufinden. Im Gewirr der Stimmen suchen sie nach Orientierung und navigieren entlang abweichender Fluchtpunkte durch den Dschungel unserer Informations- und Konsumgesellschaft.
„Ich habe es satt, daß andere hungern“ (Verburg 2012: 11). Diesem Leitspruch diachron folgend, lenkt ein Interesse für kritischen Konsum den Blick auf jene Dritte Welt-Solidaritäten, die sich im geteilten Deutschland um 1970 zu verdichten begannen. So setzte mit der Gründung einer „Aktion Dritte Welt Handel“ (A3WH) die Institutionalisierung und Differenzierung einer (Neuen) Sozialen Bewegung ein, die zunächst öffentlichkeitswirksame Formen des Protests gegen Asymmetrien im Weltwirtschaftssystem inszenierte, schnell aber auch breitere Organisations- und abweichende Handelsstrukturen ausprägte. Es formierte sich ein „Alternativer Handel“ als soziale Nische und utopischer Gegenentwurf zu dominanten Ordnungen des Welthandels, der alltagskulturelle Widerständigkeiten in den sich verstetigenden Konsumgesellschaften der (früh-)industrialisierten Welt popularisierte. Erst im wiedervereinigten Deutschland der 1990er Jahre wurde der „Faire Handel“ schließlich über den konventionellen Handel mehrheitsfähig. Seither wird er im Sog machtvoller Nachhaltigkeitsdiskurse zum Prototyp zeitgemäßen Konsums stilisiert. Und tatsächlich sind alljährlich die Wachstumsraten der „Branche“ gigantisch – die prozentualen Marktanteile stagnieren jedoch im unteren einstelligen Bereich. So stellt sich der „Bionade-Bourgeoisie“, dem Siegel-Wirrwarr und medial inszeniertem Fairen Frühstück zum Trotz die Frage, ob Geiz nicht immer noch „geil“ ist.
Die Übung rückt das exemplarische Beispiel des Fairen Handels in den Fokus. Sie legt die Wurzeln der Bewegung im Kontext von Nachkriegszeit, Dekolonisation und Kaltem Krieg frei und folgt den Spuren ihrer dynamischen Entwicklung bis in die Gegenwart. Im Spiegel des Fairen Handels lassen sich so übergeordnete gesellschaftliche Transformationen nachvollziehen, die schließlich auch aktuelle Aushandlungen von Konsum(-kritik) nachvollziehbar machen. Vor allem aber gewinnt der Alltag verschiedenster Akteure einer nur vermeintlich geschlossenen Fairhandelsbewegung Kontur. Im Fokus stehen dabei die spezifischen Perspektiven einer historisch argumentierenden Europäischen Ethnologie, ihre theoretischen Konzepte, Quellen und Methoden. Die Veranstaltung versteht sich als Einführung in Grundlagen der Disziplin. |