Mit Beginn der frühromantischen Gruppenbildung ab 1796 in Jena und Berlin etabliert sich ein neues Gattungs- und Literaturverständnis: „Die romantische Poesie ist eine progressive Universalpoesie“, postuliert Friedrich Schlegel im 116. Athenäums-Fragment. Mit ihren sympoetischen Produktionen und ihrer für den Typ einer Romantiker-Freundschaft beispielhaften Wechselbeziehung stehen Ludwig Tieck und Wilhelm Heinrich Wackenroder für eine frühe Konstitutionsphase der Romantik ab 1790 ein. Zur frühromantischen Gruppe im engeren Sinn gehören Friedrich und August Wilhelm Schlegel, Friedrich von Hardenberg (Novalis), der Theologe Friedrich Schleiermacher, der Naturphilosoph Schelling sowie Dorothea Veit und Caroline Böhmer. Die Gruppenmitglieder haben gemeinsame philosophische Grundlagen (Transzendentalphilosophie), werten die Französische Revolution als einschneidendes Ereignis, haben mit dem von Friedrich und A.W. Schlegel herausgegebenen Athenäum ein gemeinsames Medium, stehen in intensivem Briefkontakt und pflegen bestimmte Formen des Umgangs und der Selbstdarstellung – so die (in der Öffentlichkeit als ‚unverständlich‘ bezeichnete) ‚romantische Sprache‘, die romantische Ironie oder das Fragment.
Mit der romantischen Gruppe liegt erstmals ein reflektiertes, zukunftsbewusstes und einen Anspruch auf Prägung der Geschichte erhebendes Exklusivitätsbewusstsein im Sinn einer Frühform der Avantgarde vor. 1799 findet das berühmte Jenaer Romantik-Treffen statt, nur wenige Jahre später, 1801/1802, zerfällt die frühromantische Gruppe bereits wieder. Novalis stirbt, es kommt zu persönlichen Zerwürfnissen und intellektuellen Neuorientierungen. Trotz ihrer kurzen Dauer ist die literatur-, kultur- und geistesgeschichtliche Wirkung der frühromantischen Konzepte und Ideen enorm, denn ihre Vertreter reflektieren und reagieren auf einschneidende erkenntnisphilosophische Errungenschaften und sozialhistorische Modernisierungsprozesse, die teils noch unseren heutigen lebensweltlichen Erfahrungshorizont prägen. Dementsprechend ist es auch nicht verwunderlich, wenn die Literaturwissenschaft im Zuge der Beschäftigung mit sogenannten postmodernen Texten nicht um die Kenntnis frühromantischer Konzepte umhin kommt.
Im Hauptseminar werden wir die zentralen theoretischen und dichterischen Schriften der Frühromantik untersuchen. Ziel ist es, die Fragestellungen, auf die die Frühromantiker zu antworten versuchten, zu rekonstruieren und gedanklich zu durchdringen, um vor dem Hintergrund der entsprechenden philosophischen, gesellschafts- und kulturgeschichtlichen, religiösen und geistesgeschichtlichen Kontexte zu einem fundierten Verständnis der frühromantischen Ideen und Texte zu gelangen.
Bitte informieren Sie sich zur Vorbereitung in einschlägigen literaturwissenschaftlichen Nachschlagewerken über die Frühromantik! Die regelmäßige Teilnahme und aktive Mitarbeit, die intensive analytische Lektüre der Seminargegenstände sowie die Erledigung der wöchentlichen Hausaufgaben sind Voraussetzung für die Teilnahme am Seminar!
Seminarlektüre:
Zur Anschaffung empfohlen: Ludwig Tieck: Der gestiefelte Kater. Stuttgart 2001. (RUB 8916)
Als Kopiervorlage im Seminarordner (in der Institutsbibliothek):
Friedrich Schlegel: Kritische Fragmente
Ders.: Athenäums-Fragmente
Ders.: Über die Unverständlichkeit
Novalis: Fichte-Studien
Ders.: Blüthenstaub-Fragmente
Ders.: Glauben und Liebe
Ders.: Die Lehrlinge zu Sais
Ders.: Heinrich von Ofterdingen
Literatur zur Vorbereitung des Seminars:
Lothar Pikulik: Frühromantik. Epoche – Werk – Wirkung. München 1992.
Helmut Schanze (Hrsg.): Romantik-Handbuch. 2., durchges. Auflage. Stuttgart 2003.
Monika Schmitz-Emans: Einführung in die Literatur der Romantik. Darmstadt 2004.
Gerhard Schulz: Romantik. Geschichte und Begriff. 2., durchges. Auflage. München 2002. |