Kommentar |
Seit Carlo Ginzburgs Rede von einem «Indizienparadigma» des 19. Jahrhunderts weiß man, dass Geisteswissenschaften, Kriminalistik und Detektivgeschichten epistemologisch und historisch nahe verwandt sind. Die klassischen Detektive sind virtuose Leser von Zeichen, während einflussreiche Denker der Zeit – Marx, Nietzsche und Freud – sich einer detektivischen «Hermeneutik des Verdachts» (Ricoeur) bedienen, um Tiefenstrukturen unter der Oberfläche der Wirklichkeit freizulegen. Auch im 20. Jahrhundert inszenieren sich Geistes- und insbesondere Literaturwissenschaftler:innen gerne als Detektive, wenn sie etwa im Sinne der amerikanischen «critique» Texte auf ihre Komplizität oder Subversivität gegenüber bestehenden Machtstrukturen befragen.
Ausgehend von diesen Beobachtungen soll im Seminar umgekehrt gefragt werden, wie wissenschaftliches Lesen in modernen und postmodernen Detektivromanen dargestellt wird. Denn es ist auffällig, wie viele Texte des Genres – von Borges über Nabokov bis hin zu Auster und Piglia – die Nähe zwischen Detektiv und Leser:in dazu nutzen, wissenschaftliche Formen des Lesens und Schreibens zu thematisieren und die akademische Welt mit einem kritischen Blick zu betrachten. Ein dabei wiederkehrendes Thema ist die Frage, wie nahe der professionelle Verdacht – jedes Zeichen kann trügerisch sein, muss also hinterfragt werden – der Paranoia steht, so dass Sinnversprechen mit Realitätsverlust bezahlt werden muss. Zugleich geben gerade postmoderne Detektivgeschichten Einblicke in die affektiven Bindungen zwischen Dingwelt, Zeichen und LeserInnen, die auch für WissenschaftlerInnen so wichtig sind. |