Seit der Renaissance gilt die griechische und römische Antike als Mustergröße der Kunst und Literatur. Wenngleich im 17. Jahrhundert zahlreiche Poetiken das Deutsche als Literatursprache etablieren, basieren ihre Anweisungen für das Dichten immer auf den Grundlagen antiker Rhetorik. Gattungsschemata werden übernommen, ebenso sind historische und mythologische Figuren sowie philosophische Konzepte der Antike in den Texten präsent. Daran ändert sich auch im 18. Jahrhundert vordergründig nichts, die Literatur bietet weiterhin vielfältige Adaptionen antiker Muster. Allerdings führt der Fortschrittsoptimismus der Aufklärung mit einem veränderten Geschichtsbewusstsein zunehmend zu einem Spannungsverhältnis im Antikebezug. Im Zuge der sogenannten Querelle des Anciens et des Modernes, eine im 17. Jahrhundert einsetzende Debatte um die Vorbildhaftigkeit antiker Literatur und Kunst, wird dieser vermehrt die Eigenständigkeit der zeitgenössischen „modernen“ Literatur gegenübergestellt. Neue Konzepte von Nationalliteratur und Autorschaft führen zu einem Wandel im Literaturverständnis von der Nachahmung hin zur Neuschöpfung.
Diese spannenden Diskursverschiebungen nehmen wir zum Anlass, im Proseminar die mannigfaltigen Ausprägungen der Antike-Rezeption im 17. und 18. Jahrhundert zu untersuchen. Anhand kanonischer Texte analysieren wir, wie antike Stoffe und Gattungsmuster an zeitgenössische Gegebenheiten und Literaturkonzepte angepasst werden. So werden beispielsweise in der Tragödie in Barock und Aufklärung politische Intrigen und Tyrannei unter Rückgriff auf antike Figuren auf die Bühne gebracht. Auch widmen wir uns den kreativen Bearbeitung von Äsops Fabeln, der scherzhaften Lyrik des Rokoko nach anakreontischem Muster und den antike Versformen nachbildenden Oden Friedrich Gottlieb Klopstocks. Mythologische Identifikationsfiguren im Sturm und Drang werden ebenso eine Rolle spielen, wie die ästhetische Betrachtung eines antiken Kunstideals in der Klassik.
Neben literarischen Texten sollen auch programmatische Texte und literarhistorische Zusammenhänge untersucht sowie Epochenkonzepte problematisiert werden. Hierbei werden die in den Grundkursen erworbenen Kompetenzen literaturwissenschaftlicher Analyse und Interpretation (hauptsächlich Lyrik und Drama) vertieft. |