Kommentar |
Der Erste und Älteste zu sein, konnte schon immer Ansprüche legitimieren. War man der Begründer eines neuen Volkes, einer neuen Kultur, einer neuen Religion, eines neuen Reiches oder einer neuen Dynastie, dann war man früher da als andere, vielleicht sogar, wie die antiken Athener behaupteten, aus der Erde selbst entsprossen, "autochthon", und das konnte Macht und Herrschaft begründen. Man musste sein Alter und seinen Vorrang aber auch darlegen, in Erzählungen über den Urprung oder die Herkunft, so wie es überhaupt wichtig war, die Anfänge zu kennen. Schon Hesiod schreibt um 700 v. Chr. über die Entstehung der Olympischen Götter, und die antike Literatur füllt sich mit Erzählungen aller Art über Ursprünge und Expansionen, mit Königslisten und Wandergeschichten. Für die Spätantike und das Mittelalter stellt sich einmal mehr die Frage, woher die "neuen" Völker stammten, die das Erbe der Antike angetreten hatten. Gab es auch für sie Verbindungen in die ferne Frühzeit, war man älter als Griechen oder Römer, vor allem aber als die Nachbarn? Das Seminar will aus einer vergleichenden Perspektive der Frage nachgehen, wie in Antike und Mittelalter Gründungslegenden und Genealogien entwickelt wurden und welche, mitunter bis heute anhaltenden, Wirkungen sie entfalteten. |
Literatur |
Cristina Andenna / Gert Melville (Hgg.), Idoneität - Genealogie - Legitimation: Begründung und Akzeptanz von dynastischer Herrschaft im Mittelalter, Köln 2015
Patrick Joseph Geary, Europäische Völker im frühen Mittelalter: Zur Legende vom Werden der Nationen, Frankfurt a. M. 2002
Patrick Joseph Geary, Am Anfang waren die Frauen. Ursprungsmythen von den Amazonen bis zur Jungfrau Maria, München 2006.
Hans Jürgen Hillen, Von Aeneas zu Romulus. Die Legenden von der Gründung Roms, Düsseldorf 2003.
Alheydis Plassmann, Origo gentis. Identitäs- und Legitimitätsstiftung in früh- und hochmittelalterlichen Herkunftserzählungen, Berlin 2006.
Herwig Wolfram, Das Römerreich und seine Germanen. Eine Erzählung von Herkunft und Ankunft, Wien 2018 |