Autobiographien sind zentrale Quellen zur Erforschung kulturwissenschaftlicher Fragestellungen. Über sie erfahren wir, wie Vergangenes rekonstruiert und als Teil der eigenen Lebensgeschichte gedeutet wird. In diesem Seminar sollen autobiographische Texte von europäischen Exilantinnen im Zentrum stehen, die in den dreißiger Jahren nach Frankreich fliehen mussten und die ihre Lebensgeschichte und Erfahrungen im Nachhinein literarisch reflektiert haben. Es handelt sich um eine Generation von Frauen, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts geboren, (z.T.) erstmals das Wahlrecht ausübten, politische Ämter bekleiden, zum Studium zugelassen werden und einen neuen, modernen Frauentypus verkörpern. Zu den Migrantinnen aus Deutschland ab 1933, kommen die Saarländerinnen (ab 1935), die Österreicherinnen und die Tschechinnen (ab 1938); es kommen politisch aktive Frauen die vor der Verfolgung durch Mussolini aus Italien nach Frankreich fliehen und 1938 nach der Auflösung der Interbrigaden kommen Frauen nach Frankreich, die im spanischen Bürgerkrieg gekämpft hatten, ebenso wie Republikflüchtlinge am Ende des spanischen Bürgerkriegs. Einige von ihnen werden ab Herbst 1939 in einem französischen Internierungslager als sog. "Unerwünschte" (Indésirables) interniert.
Bei der Analyse der Autobiographien soll genderspezifische und interkulturelle Aspekte im Zentrum stehen. Gefragt werden soll z.B. wie sich die Erfahrung von Migration und Exil auf die Selbstwahrnehmung der Frauen auswirkt. Inwieweit wird der nationale Standpunkt in der Wahrnehmung und Deutung der Ereignisse verlassen? Was erfahren wir über transnationale Erfahrungen? Inwiefern können wir bei den Texten von europäischen Erinnerungsorten sprechen? Wie wirkt sich die Erfahrung der “Grenzüberschreitung” im konkreten und übertragenen Sinn aus? Ziel wird es sein, sich im Verlauf des Semesters mit einer Lebensgeschichte intensiver auseinanderzusetzen.
Primärliteratur:
Charlotte Salomon: Leben oder Theater? Ein autobiographisches Singspiel in 769 Bildern. Köln 1981,
Susanne Bach : Karussel. Von München nach München. Frauen in der einen Welt: Nürnberg 1991
Lisa Fittko : Mein Weg über die Pyrenäen. Erinnerungen 1940/41. Hanser Verlag Darmstadt 1985
Steffie Spira: Trab der Schaukelpferde. Kore Verlag: Freiburg 1990
Lenka Reinerova: Grenze geschlossen. Verlag Neues Leben 1958
Louise Straus-Ernst: Nomadengut. Materialien zur Kunst des 20. Jahrhunderts, Sprengel Museum Hannover. 2002
Vera Mirsky-Trail: The cup of astonishment. London: Crusset, 1944
Isabel del Castillo: El incendio: Ideas y recuerdos. Buenos Aires. Ed. Americalee, 1954
Nunia Mor: Qui de tu s’allunya. Qui s’éloigne de toi. Saint Martin 2004. Les éditions de la Petite Fleur.
Teresa Noce: Rivoluzionaria professionale. (Estella: Autobiographie einer Italienischen Revolutionärin. 1981)
Gertrud Rast: Allein bist Du nicht. Kämpfe und Schicksale in schwerer Zeit. Frankfurt a.M.: Röderberg Verlag 1972
Liza Hollender in: Petra Lataster-Czisch: Eigentlich rede ich nicht gern über mich. Lebenserinnerungen von Frauen aus dem Spanischen Bürgerkrieg. 1936-1939. Leipzig und Weimar: Kiepenheuer 1990
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