Kommentar |
Jeder, der Italien und insbesondere Florenz besucht hat, spürt noch heute den Nachklang der epochalen Begeisterung, die sich gerade in dieser Stadt mit der geistigen und kulturellen Bewegung der Renaissance verband. Die Menschen des 14., 15. und 16. Jahrhunderts n.Chr. erlebten, wie in atemberaubender Weise durch Wieder- und Neuentdeckungen die Literatur, die Philosophie, der Baukunst der antiken griechischen und römischen Welt zu neuem Leben erwachte, und sie brachten ihrerseits bedeutende Geister hervor, die sich in produktiver und schöpferischer Weise mit diesem von neuem hochgeschätzten Erbe des Altertums auseinandersetzten. Unter ihnen kommt dem Florentiner Marsilio Ficino (1433-1499) eine herausragende Stellung zu, als Erneuerer der Kenntnis platonischer und neuplatonischer Philosophie im Abendland nach einer langen Zeit der Platonferne (er gründete unter anderem eine platonische Akademie, in Anlehnung an das athenische Vorbild) und Schöpfer einer Synthese antik-philosophischen und christlichen Gedankenguts. Mit diesen Leistungen wirkt Ficino immer noch auf das abendländische Denken ein; namentlich bestimmte seine Platon-Interpretation noch bis zur Zeit Schleiermachers unser Bild von dieser Philosophie. Um so erstaunlicher ist es, daß einige Werke dieses außerordentlich produktiven Mannes bis heute nur in Drucken des 16. Jahrhunderts vorliegen und nach wie vor auf systematische Textedition und Kommentierung warten. Hier eröffnet sich also ein weites Feld für Lateinkundige mit Entdeckerfreude und Neigung zu selbständiger Arbeit an Texten, die seit dem ersten Druck kaum jemals von Vorgängern bearbeitet worden sind. Im Laufe der Übung sollen darum längere Partien gerade aus solchen noch nicht edierten und kommentierten Traktaten gelesen und interpretiert werden. Möglicherweise fühlt sich ja der ein oder andere Teilnehmer zu weiterer Forschungstätigkeit angeregt? |
Literatur |
wird in der ersten Sitzung vorgestellt; zur Einführung: Paul Oskar Kristeller: Die Philosophie des Marsilio Ficino (Frankfurt a.M. 1972); Tamara Albertini: Marsilio Ficino, in: Paul Richard Blum (Hrsg.): Philosophen der Renaissance (Darmstadt 1999), 77-86; Michael J.B. Allen (Hrsg.): Marsilio Ficino - his Theology, his Philosophy, his Legacy (Leiden u.a. 2002) |
Voraussetzungen |
Lateinkenntnisse im Umfang des Latinums; Bereitschaft, Texte zu lesen, die nach Druckbild, Interpunktion und Orthographie deutlich von dem Erscheinungsbild abweichen, das uns modern edierte lateinische Texte sonst bieten |
Zielgruppe |
Die Veranstaltung richtet sich an Studenten aus verschiedenen Fächern; außer für Latinisten ist sie in jedem Fall auch für Philosophen, Historiker und Griechischkundige interessant; in einer solchen fächerübergreifenden Beschäftigung liegen enorme Chancen für das Verständnis des Autors, gerade unter dem Aspekt, daß an unserem Institut seit der Berufung Prof. Riemers eine Ficino-Arbeitsstelle existiert. |