Kommentar |
Die Beschäftigung mit einer Literatur aus einem heute nicht mehr existierenden Land, hat einen eigentümlichen Reiz. Vierzig Jahre DDR-Geschichte haben einen Literaturkanon inauguriert, der einen kulturpolitisch inszenierten, politischen Anspruch erhebt. Dementsprechend avanciert ein Großteil der dem Konzept des »sozialistischen Realismus« verpflichteten Schriftsteller zu Volkserziehern im Dienst des Sozialismus. Zentrale Topoi dieser politisch instrumentalisierten »Ankunftsliteratur« sind der positive Held und seine erfolgreiche Eingliederung in die sozialistische Gesellschaft, Arbeit und Produktion, utopischer Optimismus, Fortschrittsgläubigkeit, Parteilichkeit, BRD-Polemik und eine kritische Auseinandersetzung mit der Nazi-Vergangenheit. Die im Laufe der DDR-Geschichte zunehmende Wahrnehmung der Diskrepanz zwischen propagierter sozialistischer Gesellschaftsutopie und Alltagsrealität ist Ausgangspunkt einer kritischen literarischen Auseinandersetzung mit Staat und Partei. Literatur bildet hier ein Ventil, das – wenn auch stets durch den Zensurapparat der SED reglementiert und reguliert – die Schattenseiten der DDR thematisiert, die im öffentlichen Diskurs nicht artikuliert werden können: Zerfall, Unfreiheit, Zweifel an der Selbstentfaltung des Individuums im Kollektiv, Umweltverschmutzung, kollektives Versagen, Selbstzerstörung, die utopische Sehnsucht nach dem „wahren” Sozialismus. Infolgedessen machen trotz einiger Liberalisierungsversuche der Literaturpolitik, Publikationsverbote, Parteiausschlüsse, Verhaftungen bis hin zu Ausbürgerungen als regimefeindlich eingestufter Autoren, ein autonomes literarisches Schaffen in der DDR nahezu unmöglich.
Im Mittelpunkt des Seminars steht die Lektüre zentraler kanonisierter Werke der DDR-Literatur: Johannes R. Bechers DDR-Hymne »Auferstanden aus Ruinen«, Bertolt Brechts Gedichtzyklus »Buckower Elegien«, Christa Wolfs »Der geteilte Himmel«, Wolf Biermanns Balladen und Lieder (»Die Drahtharfe«; »Mit Marx- und Engelszungen«), Dramen von Heiner Müller und Peter Hacks, Christoph Heins Novelle »Der fremde Freund/Drachenblut«, Ulrich Plenzdorfs Roman »Die neuen Leiden des jungen W.« sowie Gedichte von Sarah Kirsch und Günter Kunert. Der medialen Bandbreite der Gegenwartsliteratur entsprechend, bilden Literaturverfilmungen der DEFA und Hörspiele einen weiteren signifikanten Gegenstandsbereich. Ausgehend von einer grundlegenden Einführung in die historischen und kulturpolitischen Kontexte der DDR-Geschichte, tragen die Seminarteilnehmer/innen durch Impulsreferate zur anwendungsorientierten Gestaltung des Seminars bei. Darüberhinaus werden die in den Grundkursen erlernten Fähigkeiten der Textanalyse und Interpretation vertieft und Techniken literaturwissenschaftlichen Arbeitens mit Blick auf die Abfassung der Proseminararbeit am Ende des Semesters eingeübt. |
Literatur |
Zur Anschaffung vor Vorlesungsbeginn:
Christa Wolf: Der geteilte Himmel. Text und Kommentar (Suhrkamp BasisBibliothek 87)
Ulrich Plenzdorf: Die neuen Leiden des jungen W. (Suhrkamp Basisbibliothek 39)
Weitere Texte werden in einem Seminarapparat in der IB Germanistik als Kopiervorlage zur Verfügung gestellt.
Sekundärliteratur zur Einführung:
Boor, Helmut de; Newald, Richard (Hg.): Geschichte der deutschen Literatur von den Anfängen bis zur Gegenwart. Bd. 12: Geschichte der deutschen Literatur von 1945 bis zur Gegenwart. Hrsg. v. Wilfried Barner. Zweite, aktualisierte Auflage. München 2006.
Emmerich, Wolfgang: Kleine Literaturgeschichte der DDR. 2. Auflage. Berlin 2005.
Ders., Die Literatur der DDR. In: Deutsche Literaturgeschichte. Von den Anfängen bis zur Gegenwart. Hrsg. v. Wolfgang Beutin; Klaus Ehlert, Wolfgang Emmerich u.a. Siebte, erweiterte Auflage. Stuttgart 2008, S. 511-579.
Grimminger, Rolf (Hg.): Hansers Sozialgeschichte der deutschen Literatur vom 16. Jahrhundert bis zur Gegenwart. Bd. 11: Die Literatur der DDR. Hrsg. v. Hans-Jürgen Schmitt. München; Wien 1983.
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