Kommentar |
Davon ausgehend, dass in einem totalitären Regime wenig Platz für Musikalisches seien dürfte (Hutter 2003), hat sich die (musik-)historische Forschung erst in den letzten fünfzehn Jahren dem Thema des Musiklebens in den europäischen Diktaturen der Zeit zwischen 1918 und 1939 angenommen. Dabei zeigte sich schnell, dass musikalische Kulturleistungen vor allem benutzt wurden, um rückblickend auf die Leistungen der eigenen Nation ein alleinstellendes Gemeinschaftsgefühl zu erzeugen (Csobádi 2005, S. 65). Ein weiterer Aspekt rückte darauf aufbauend in den Fokus der Forschung, nämlich die Benutzung von Musik zu propagandistischen Zwecken (Annuß 2015): Man denke hier an das Musikprogramm der Nürnberger Reichsparteitage oder nationalistische Neukompositionen wie Schostakowitsch‘ 7. Sinfonie (Leningrader) oder Das Lied von den Wäldern. Neben der ideologischen Aufladung der Musik sind die ideologischen Angriffe gegen nicht-systemkonforme Musik, gegen missliebige Künstler oder Institutionen ein Kennzeichen nationaler wie kommunistischer Diktaturen, das wissenschaftlich noch unterbelichtet ist: Dies beginnt mit der Förderung progressiver (Italien) oder traditioneller (Spanien) Musik, Vorschriften zu Gestaltung der Spielpläne (Irion 2014), ein Theaterbauprogramm (Werr 2006) oder die Nutzung von theatralen Inszenierungsstrategien (Warstat 2004, Geiger 2015). Zumal das Arsenal der Anwendungs- und Ausschlussmöglichkeit von Musik und musikalischer Betätigung höchst differenziert war (Grochulsky/Kautny/Keden 2006), muss man in diesem Zusammenhang schlussendlich die Musikproduzenten, Komponisten und Musiker sowie deren individuelles Er- und Überleben in einer Zwangsgesellschaft (Strobl 2007) und die Rezeption durch den Zuseher und -hörer (Gries/Schmale 2005) berücksichtigen.
Termine:
20.04. (Einführung): 14 bis 16 Uhr
27.04., 04.05., 18.05., 01.06., 08.06., 22.06., 13.07.: 14 bis 18 Uhr
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Literatur |
Literatur:
- Csobádi, Peter: „Wir sind belauscht mit Ohr und Blick”. Musiktheater in den Diktaturen, in: Csobádi, Peter; u.a. (Hg.): Das (Musik-)Theater in Exil und Diktatur.Anif 2005, S. 63-72.
- Geiger, Friedrich: Affirmation und Ausgrenzung. Zur Bedeutung von Musik für das NS-Regime, in: Benz, Wolfgang; u.a. (Hg.): Kunst im NS-Staat. Ideologie, Ästhetik, Protagonisten. Berlin 2015, S. 349-367.
- Gries, Rainer; Schmale, Wolfgang (Hg.): Kultur als Propaganda. Überlegungen zu einer Propagandageschichte als Kulturgeschichte. Bochum 2005.
- Grochulski, Michaela G.; Kautny, Oliver; Keden, Helmke Jan (Hg.): Musik in Diktaturen des 20. Jahrhunderts. Mainz 2006.
- Strobl, Gerwin: Swastika and the stage: German theatre and society 1933-1945. Cambridge 2007.
- Warstat, Matthias: Theatrale Gemeinschaft. Zur Festkultur der Arbeiterbewegung 1918-33. Tübingen; Basel 2004.
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