Der Begriff Theodizee setzt sich zusammen aus den griechischen Begriffen für Gott und Gerechtigkeit. Mit ihm werden Überlegungen angesprochen, die die europäischen Gelehrten des 18. Jahrhunderts umgetrieben haben. Die Frage im Kern der Theodizee-Debatte lautet: Wenn Gott gerecht, gütig und allmächtig ist, wieso gibt es dann überhaupt Leiden in der Welt? Auch die Literatur hat sich mit dieser Frage befasst, vor allem nachdem am 1. November 1755 ein schweres Erdbeben die Metropole Lissabon erschütterte. Die Katastrophe gilt als eine Zäsur in der abendländischen Geistesgeschichte, weil sie die weit verbreiteten optimistischen Thesen von einer zum Besten eingerichteten Welt hart auf die Probe stellte.
Ausgehend von Leibniz‘ populären Ideen soll im Seminar untersucht werden, wie sich die Literatur zu der Frage nach dem Sinn des Übels verhält – und zwar vor und nach der ›Jahrhundertkatastrophe‹. Behandelt werden Texte aus unterschiedlichen Gattungen (Erzählung, Fabel, Lehrgedicht, Trauerspiel, Abhandlung), die in den Jahren von 1710 bis 1807 erschienen sind. Anhand dieser Auswahl thematisch verbundener Texte kann man einen Einblick in das Denken des 18. Jahrhunderts über Freiheit und Notwendigkeit, Zufall und Schicksal, Gott und Natur gewinnen.
Philosophische Grundlagen (Leibniz, Wolff) werden in Auszügen und mit Unterstützung von Sekundärliteratur erarbeitet. Vergleichsbeispiele aus der englischen und französischen Literatur (Pope, Voltaire) werden in Ausschnitten herangezogen. Die Texte werden zu Beginn des Seminars in einem Dropbox-Ordner als PDF zur Verfügung gestellt.
Zu den behandelten Texten gehören voraussichtlich:
- Alexander Pope: Essay on Man
- Johann Gottfried Schnabel: Die Insel Felsenburg
- Christian Fürchtegott Gellert: Leben der Schwedischen Gräfin von G***
- Voltaire: Poème sur le désastre de Lisbonne; Candide
- Friedrich Schiller: Die Räuber
- Heinrich von Kleist: Das Erdbeben in Chili
Neben regelmäßiger Anwesenheit und gründlicher Vorbereitung der Texte gehört zu den unbenoteten Studienleistungen im Seminar auch die Erstellung eines Papers, das der Vorbereitung der Hausarbeit dient. |