Kommentar |
HS Interkulturalität im postkolonialen Frankreich am Beispiel von Juden und Moslems aus dem Maghreb
In Frankreich leben heute rund 500.000 Juden und zwischen 5-6 Millionen Moslems und damit die größten jüdischen und muslimischen Gemeinden in einem europäischen Land. Aufgrund von Migrationsbewegungen aus dem Maghreb repräsentieren die sogenannten "sephardischen" Juden in Frankreich die Mehrheit innerhalb der jüdischen Gruppe. Die Beziehungen zwischen Juden und Moslems waren keineswegs immer so konfliktreich wie heute und sie sind vor allem durch eine gemeinsame (Migrations-) Geschichte geprägt. Zwischen dem Ersten Weltkrieg und dem Ende des Kolonialregimes lebten die beiden Gruppen z.T. harmonisch miteinander.
Erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts und im Rahmen der De-Kolonialisierung wurde das Verhältnis zunehmend konfliktuell. Spätestens mit dem Anschlag von Mohammed Merah auf eine jüdische Schule in Toulouse (2013) und dem Anschlag auf einen koscheren Supermarkt im Januar 2015 (und der Weigerung mancher Muslime sich dem ritualisierten Bekenntnis "Je suis Charlie" anzuschließen), wurde deutlich, dass sich dieses Verhältnis grundlegend gewandelt hat und in einer Krise befindet.
Zum besseren Verständnis ist es notwendig, einen Blick zurück in die Geschichte zu werfen und die gemeinsame Herkunft der beiden Gruppen aus dem ehemals französisch geprägten Kolonialreich in Nordafrika zu beleuchten. Mit der Unabhängigkeit Marokkos und Tunesiens (1956) und dem sich entwickelnden Nationalismus sahen sich die Juden dort zunehmend als Fremdkörper in Ländern, die ihre nationale Identität vorrangig in eine arabisch-muslimische Vergangenheit projizierten. Nach dem Ende des algerischen Unabhängigkeitskriegs (1962) kamen rund eine Million Migranten aus Algerien (die sogenannten "Pieds-noirs") unter denen sich auch zahlreiche "sephardische" Juden befanden. Wichtig ist es hervorzuheben, dass beide Gruppen im Verhältnis zu einem Dritten (Frankreich) über ihre ethno-religiöse Zugehörigkeit und die Fremdzuschreibungen des französischen Kolonialregimes (z.B. im Hinblick auf ihre Staatsangehörigkeit) definiert und damit gegen einander ausgespielt wurden. Lange Zeit stand in der Migrationsforschung die muslimisch-maghrebinische Gruppe im Vordergrund, während die "sephardischen" Juden aus dem Maghreb unter die "Pieds-noirs" subsumiert wurden, da deren Integration als unkompliziert angesehen wurde. In neueren Forschungen wird zu Recht dafür plädiert, stärker die "Beziehungsgeschichte" in den Blick zu nehmen, die die beiden Gruppen verbindet. In diesem Seminar soll genau dies gemacht werden: Zunächst werden wir einen Blick in die Geschichte werfen und Klassiker zur Frage des Verhältnisses der beiden Gruppen studieren, wie den Tunesier Albert Memmi, den Marokkaner Edmon El Maleh und den Algerier Benjamin Stora. Davon ausgehend werden wir uns dann mit aktuellen Darstellungen dieses Verhältnisses in Frankreich in ausgewählten Medien (Literatur und Film) beschäftigen, aber auch mit konkreten zivilgesellschaftlichen Initiativen, die für einen jüdisch-muslimischen Dialog eintreten (z.B. "Batisseuses de Paix", "Le bus de l'amitié judéo-musulmane).
Methodisch werden wir uns dabei der Begrifflichkeit und Theoriekonzepte aus der Forschung zur interkulturellen Kommunikation bedienen.
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