Dass auch im Zeitalter des Internets Literatur noch internationales Erregungspotential zukommen kann, zeigte im Jahr 2016 die weitreichende Debatte um das sogenannte „Schmähgedicht“ des Satirikers Jan Böhmermann. Hierbei ähnelten die Argumente, mit denen die Diskussion ausgetragen wurde, vorangehenden Debatten um Skandalliteratur: Das Primat der Kunstfreiheit auf der einen Seite und Beleidigung, Verletzung des Persönlichkeitsrechts sowie insbesondere die Infragestellung des künstlerischen Werts auf der anderen Seite – skandalöse Texte scheinen die für eine literaturwissenschaftliche Herangehensweise spannende Frage zu provozieren, was überhaupt als Literatur gilt. Doch nicht nur die politische Provokation, auch pornographische Inhalte oder sogenannte Tabuthemen haben oft das Potential, gesellschaftliche Debatten anzuregen. So kann der literarische Skandal sogar als Barometer gesellschaftlicher Wandlungen fungieren.
Auch stellt sich die Frage nach bewussten Inszenierungen, denn der Skandal als publikumswirksames Ritual funktioniert ebenso als Marketinginstrument: Skandalisierte Texte erreichen eine größere Öffentlichkeit – ob sie dann aber auch wirklich gelesen werden oder nur die Person des Autors/der Autorin in den Mittelpunkt der medialen Aufmerksamkeit rückt, ist fraglich.
Das Seminar widmet sich Skandalliteratur der deutschsprachigen Literatur nach 1945. Es geht der Frage nach, was Texte überhaupt zu Skandaltexten macht – neben den literarischen Texten selbst werden also auch ihre jeweiligen Veröffentlichungskontexte sowie ihre Rezeption berücksichtigt. Hierbei werden die in den Grundkursen erworbenen Kompetenzen literaturwissenschaftlicher Analyse und Interpretation vertieft sowie der Umgang mit Forschungsliteratur geschult. |