Der Titel des Proseminars bezeichnet sogleich einen Problembereich literaturgeschichtlicher Periodisierung. Während die in unserem Seminar behandelte Literatur der Restaurationsepoche zwischen dem Wiener Kongress (1815) und der Märzrevolution (1848) in einigen Literaturgeschichten konsequent unter dem Epochenbegriff Vormärz behandelt wird, grenzen andere Literaturgeschichten deutlich zwei unterschiedliche Tendenzen voneinander ab: Die sich gegen die politische Restauration und die staatliche Zensur engagierende progressive Literatur des Vormärz einerseits; die sich vor der politischen Erfahrungswirklichkeit zurückziehende reaktionäre Literatur des sogenannten literarischen Biedermeier andererseits. Mit den Autoren, die man dem Biedermeier zuordnet, werden gemeinhin konservative Schriftsteller bezeichnet, die sich nicht mit der liberal-revolutionären Opposition identifizieren können und sich in geschützten, dem tradierten Ordnungsbild scheinbar noch entsprechenden Bereichen wie ‚Heimat‘ oder ‚Familie‘ einrichten.
Im Proseminar nehmen wir die – kritisch zu hinterfragende – Etikettierung der ‚Biedermeier-Literatur‘ zum Anlass, Erzählungen und Novellen prominenter Vertreter dieser Episode des 19. Jahrhunderts in den Fokus unserer literaturwissenschaftlichen Betrachtung zu stellen. Dabei werden wir danach zu fragen haben, wie die Autoren mit ihren Texten im Einzelnen auf die sozialhistorischen Kontexte antworten oder zu antworten versuchen.
Nachdem wir uns einführend begriffs- und literaturgeschichtlich informiert sowie mit dem (sozial-)historischen Kontext vertraut gemacht haben, werden wir die in den Grundkursen erworbenen Kenntnisse und Instrumentarien der Analyse und Interpretation an unseren Gegenständen vertiefen, so dass Sie am Ende des Seminars literarische Texte eigenständig, kritisch-distanziert und differenziert analysieren und interpretieren können.
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