Kommentar |
"Wer auch nur, wie ich selbst, ein paar Bücher Ammians gelesen hat, ist von der Frische der Darstellung, von der Kunst des Charakterisierens, ...von der derben Natürlichkeit und Originalität des im Waffenhandwerk erprobten Schriftstellers, von der starken Subjektivität in Hass (Constantius) und Liebe (Iulian) aufs angenehmste berührt." (Antike Kunstprosa, 1909, Bd. 2, 646). Dieses Lob des klassischen Philologen Eduard Norden aus dem Jahr 1909, das dem spätantiken heidnischen und aus dem römischen Syrien oder Phönizien stammenden Geschichtsschreiber Ammianus Marcellinus, zuteil wurde, wird zwar durch seine Bemerkung eingeschränkt, mit einem Sallust oder einem Tacitus lasse sich der spätantike, griechische Schriftsteller natürlich nicht vergleichen, aber nicht ernsthaft geschmälert, denn man müsse ihn eben im Kontext der "armseligen Geschichtskompilatoren seiner eigenen Zeit" (647) sehen. In Nordens Urteil verringert die Vernachlässigung des Christentums den inhaltlichen Wert der "Res Gestae" und mit seinen Exkursen "bringt er den modernen Leser zur Verzweiflung ... unsäglich banal und in ihrer gespreizten Schaustellung von allerlei gelehrtem oder dilettantenhaftem Raritätenkram widerlich; ..." (647). Spätestens seit Norden wird der historische sowie der literarische Wert der Res Gestae kontinuierlich diskutiert. Timothy Barnes schließt seine Monographie "Ammianus Marcellinus and the Representation of Historical Reality" aus dem Jahr 1998 mit den Worten: "Ammianus has secured a permanent place in the select group of really great historians precisely because ... his Res Gestae exhibit the creative and imaginative powers of a novelist." (198). Dass auch Klio, die Muse der Geschichtsschreibung, dichtet, hat im 20. Jahrhundert unter anderem der amerikanische Literaturwissenschaftler und Historiker Hayden White deutlich gemacht, und in der Übung wird das Werk Ammians als Text, der zugleich zeitgenössisches Geschichtsdokument und literarisches Werk ist, aus unterschiedlichen Perspektiven und mit verschiedenen Methoden betrachtet. Dabei werden anhand von ausgesuchten inhaltlichen Beispielen narrative Elemente wie Zeit, Figuren, Erzählsituation ebenso berücksichtigt wie verschiedene Diskurse, und abschließend Überlegungen zur Gesamtstruktur und der Zielsetzung des Werkes angestellt.
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