Kommentar |
Angenommen, jemand befindet sich in der Situation, nur eine von zwei Gruppen von Personen, die sich in Not befinden, retten zu können. Sollte sie dann so handeln, dass die größere Anzahl an Personen gerettet wird? Intuitiv scheint die Antwort (für die meisten) klar: Ja, zumindest dann, wenn es keine weiteren moralisch relevanten Unterschiede zwischen den beiden Gruppen gibt. In seinem einflussreichen Artikel „Should the numbers count?“ bestreitet John Taurek (1977) jedoch, dass die Anzahl an Personen moralisch relevant sei. Auch wenn die meisten Philosoph*innen Taureks These ablehnen, hat sie doch eine Debatte aufgeworfen, die als Anzahl-Problem (oder Numbers-Problem) bekannt ist. Warum, so können wir fragen, ist die Anzahl moralisch relevant?
Der klassische Utilitarismus gibt eine klare Antwort. Man soll so handeln, dass das Wohlergehen aller Individuen insgesamt am größten ist. Man sollte also die größere Anzahl an Personen retten, weil es insgesamt besser ist. Die Summe an Wohlergehen ist dann größer. Auf diese oder eine ähnliche Weise begründen all jene Moraltheorien die Rettung der größeren Anzahl, die die Vor- und Nachteile für unterschiedliche Individuen gegeneinander verrechnen.
Gegen solche Theorien wurden jedoch gewichtige Einwände formuliert. Erstens vernachlässige diese Verrechnung, dass es um unterschiedliche Personen geht. Zweitens, gäbe es keinen relevanten Sinn, in dem die Rettung der größeren Anzahl besser für jemanden sei – jedenfalls ist sie nicht besser für die nicht gerettete Person. Und drittens würden die Theorien rechtfertigen, dass wir wenige Personen opfern sollten, wenn wir dadurch das Leben von genügend vielen anderen Personen etwas verbessern.
In diesem Seminar werden wir einige der wichtigsten Beiträge der Debatte kritisch diskutieren. Im Laufe des Seminars wollen wir herausfinden, ob die Einwände gerechtfertigt sind, und prüfen, ob alternative Vorschläge, die Intuition einzufangen, dass wir die größere Anzahl retten sollten, überzeugende Alternativen bieten können und wo ihre Probleme liegen.
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