Kommentar |
Die Familie zählt zu den wichtigsten zwischenmenschlichen Organisationsformen im privaten Raum. Da wundert es nicht, dass familiäre Beziehungsgefüge, ihre Realisierungsbedingungen und Herausforderungen auch innerhalb der Dramenliteratur in ihrer literaturgeschichtlichen Bandbreite virulent werden. Hier werden Fragen der Ehe, der Geschlechterrollen, der Kindererziehung und der Generationen verhandelt und publikumswirksam auf die Bühne gebracht. Das Familiendrama erweist sich interessanterweise als Medium der öffentlichen Kommunikation, in dem gerade die intimen häuslichen Konstellationen und die nicht öffentlichen Konfliktfelder zur Darstellung gebracht und rezipiert werden. Besonders die häufig problematische Vater-Tochter- bzw. Vater-Sohn-Beziehung aber auch der Bruderzwist spielen in diesen Stücken eine tragende Rolle. Die dramatischen Konflikte entzünden sich am Antagonismus von Mann und Frau, an der Hegemonie des Mannes in der Ehe, am Autonomiestreben und Ungehorsam des Kindes, an divergierenden Lebenskonzepten, der Frage nach der Partnerwahl, der restriktiven Selbstverwirklichung des Einzelnen in einer patriarchalischen Gesellschaft und an der Schuldfrage der Väter. Dabei weisen die Bühnenstücke über sich hinaus und geben Anlass zu überindividuellen Fragestellungen und Sinnkonstruktionen. Die Figuren werden zu symbolischen Repräsentanten, die religiöse, moralische und politische Normen- und Wertesysteme verkörpern. Mit Blick auf die intendierte Wirkungsabsicht der Dramen kann dementsprechend die gesamtgesellschaftliche Ordnung affirmativ-stabilisierend oder subversiv-dekonstruierend kommentiert und beurteilt werden.
Das Proseminar knüpft an das in Grundkurs II erworbene Vorwissen zur Dramenanalyse und -interpretation an und vertieft diese Kenntnisse. Die Offenheit des Familiendramas für tektonische Gestaltungsvarianten ermöglicht es, die verschiedenen dramatischen Genre vom Fastnachtsspiel über das bürgerliche Trauerspiel bis hin zum naturalistischen Milieudrama in den Blick zu nehmen und in den jeweiligen Gattungs- und Epochenkontext einzuordnen. Ihre regelmäßige und aktive Teilnahme, Ihre Bereitschaft zur Übernahme eines Impulsreferats/Thesenpapiers und eine schriftliche Hausarbeit führen Sie zum erfolgreichen Abschluss des Proseminars. Eine Klausur wird nicht angeboten. Die Anschaffung der unten aufgeführten Primärtexte in den angegebenen Reclam-Ausgaben ist obligatorisch. |
Literatur |
Bitte schaffen Sie sich folgende Texte vor Vorlesungsbeginn an:
Lessing: Miss Sara Sampson (RUB 16)
Lessing: Emilia Galotti (RUB 45)
Schiller: Die Räuber (RUB 15)
Kleist: Die Familie Schroffenstein (RUB 1768)
Hebbel: Maria Magdalena (RUB 3173)
Hauptmann: Vor Sonnenaufgang (RUB 19017)
Holz/Schlaf: Die Familie Selicke (RUB 8987)
Hasenclever: Der Sohn (RUB 8978) |