Kommentar |
Wenn der Weltuntergang naht, erhebt sich ein Trommelfeuer. 4:06 Minuten rattert ein atemloser Sänger apokalyptische Schlagwörter herunter: ‚earthquake‘, ‚hurricane‘, ‚overflow‘. Wie ein fassungsloser Anchorman im Angesicht des Armageddon. Bis das Stakkato einer sanften Melodie weicht, die klingt, als reiße der Himmel auf: ‚It's the End of the World as We Know It (and I Feel Fine)‘. So fröhlich kann Fatalismus klingen.”
Spiegel-Autor Philipp Wurm interpretiert den R.E.M.-Song von 1987 im Kontext von Kalten Krieg und Tschernobyl, massenmedialer Reizüberflutung und Weltuntergangsglauben. Zwischen kollektivem Ohnmachtsgefühl und fatalistischer Zuversicht oszillierend, wirkt der Mensch hier erstaunlich passiv. Tatsächlich regten atomare Bedrohungsszenarien seit Mitte des 20. Jahrhunderts weitreichende Vorkehrungen an, u.a. sogar den Bau privater Schutzbunker.
Im Alltag richten sich vielfältige Handlungen auf eine aktive Herstellung von Zukunft. Die Bandbreite reicht von Tages- bis Lebensplanungen (to do-Listen, Berufsorientierungen etc.) über Prognosen (Wettervorhersagen, Bleigießen etc.), individuelle und kollektive Vorsorge (Bevorratung, Sparen etc.) bis hin zu zielgerichteten Zukunftspraxen (Fahrschule, politischer Protest etc.). Insbesondere Gesellschaften mit linearem, sprich fortschreitendem und auf die Zukunft ausgerichtetem Zeitverständnis neigen zu Bilanzierung, Planung und Prognose. Aushandlungen von Zukunft speisen sich dabei nicht zuletzt aus der Vergangenheit, sind also beeinflusst von individuellen und kollektiven Erfahrungen, Traditionen und Verhaltensroutinen. Sie stehen aber v.a. auch unter dem Eindruck zeitgenössischer Probleme, Hoffnungen und Ängste, die mitunter in Dystopien und Utopien konkreten Ausdruck finden.
Im Projektseminar fokussieren wir Kulturphänomene, die explizit an diese besonders negativen und positiven Gesellschaftsentwürfe geknüpft sind. Uns interessiert die Kritik am Status quo, die Spezifik der Zukunftsvisionen, ihre alltagspolitischen Potenziale, die heterogenen Akteure und ihre Handlungen, ihre Motive, Wahrnehmungen und Deutungen von Gegenwart und Zukunft. Populäres Beispiel ist etwa die Transition Town-Bewegung, die schon heute einen Zusammenbruch der Weltwirtschaft (Peak Oil) antizipiert, indem sie resiliente Kreisläufe aufzubauen versucht. Oder Gruppen wie das Anonymus-Kollektiv, die im Kontext von Big Data und Überwachung virtuelle Protestformen ausprägen. Menschen bereiten sich – spielerisch (z.B. Zombie-LARP), aber auch sehr ernst (z.B. Prepper) – auf den Zusammenbruch von Gesellschaften vor. Auch Institutionen sind durchaus damit befasst: Wie versuchen bspw. Gesundheitsbehörden Epidemien vorzubeugen? Kann man sich auf den Kollaps von Ökosystemen vorbereiten? Wir wollen uns der Herstellung von Zukunft im Spannungsfeld von Dystopie und Utopie in eigenständigen studentischen Forschungsprojekten exemplarisch annähern.
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Bemerkung |
Es handelt sich hier um den zweiten Teil eines zweisemestrigen Projektseminars, in dem die Studierenden sich einem ausgewählten Thema unter Anleitung tatsächlich eigenständig forschend nähern. Die Teilnahme an beiden Veranstaltungen ist verbindlich! Am Ende steht ein praktisch orientiertes Ergebnis in Form einer Ausstellung, eines Buchprojektes, eines Blogs oder anderem. |