Kommentar |
Die Habsburger sind über 600 Jahre lang die beherrschende politische Macht in Mitteleuropa. Gerade die fast sieben Jahrzehnte dauernde Regentschaft des vorletzten habsburgischen Kaisers, Franz Josefs I., gilt weithin als besonders stabile Phase der österreich-ungarischen Geschichte am Vorabend des Ersten Weltkriegs. Doch seit der Märzrevolution von 1848 und dem in diesem Jahr noch erfolgenden Amtsantritt des Kaisers ist diese späte Phase der habsburgischen Herrschaft faktisch bereits von vielerlei massiven Krisensymptomen gekennzeichnet, die letztlich alle auf ihre jeweilige Weise zum Untergang der Doppelmonarchie beitragen.
Die Autoren der Zeit registrieren dies aufmerksam und verarbeiten die zahlreichen Anzeichen tiefgreifender politischer Probleme und gesellschaftlicher Umbrüche in literarischer Form. Mit etlichen der einschlägigen Texte befasst sich das Seminar. So wird bereits während der Revolution der allgegenwärtige Untertanen- und Bürokraten-Ungeist angeprangert (Nestroy), werden die Geistlosigkeit und moralische Verrohung des Militärs (Schnitzler), die Verarmung breiter Schichten infolge der Industrialisierung (Christen) und ein signifikanter Strukturwandel in den ländlichen Gebieten mit oft inhumanen Auswirkungen (Saar) sowie ein zunehmender Verlust des Glaubens selbst unter Priestern (Ebner-Eschenbach) und der aufkommende Antisemitismus (Schnitzler) kritisiert. Im Ersten Weltkrieg wird erst recht die sittliche Verkommenheit der Eliten der Monarchie offenkundig (Kraus). Autoren, die in der Kindheit noch die habsburgische Herrschaft erleben, aber nach 1918 in der Ersten Republik zu bekannten Schriftstellern avancieren, tendieren hingegen zu einer posthumen Verklärung der Habsburgermonarchie (Roth, Zweig). |
Literatur |
Folgende Texte sind in den genannten Ausgaben anzuschaffen:
Joseph Roth: Radetzkymarsch (Reclam 18533)
Johann Nestroy: Freiheit in Krähwinkel (Reclam 8330)
Arthur Schnitzler: Professor Bernhardi (Reclam 18386)
Arthur Schnitzler: Lieutenant Gustl (Reclam 18156)
Die übrigen Texte werden als PDF-Dateien in Moodle zur Verfügung gestellt. |