Bemerkung |
In Frankreich haben seit knapp 30 Jahren erhebliche Bemühungen zur Dezentralisierung des politisch-administrativen Systems stattgefunden. In der französischen Verfassung (Art. 1 Satz 4) wird die „Organisation” des Staatswesens seit 2003 als „dezentralisiert” bestimmt. Dezentralisierung und Regionalisierung seit Anfang der 80er Jahre des 20. Jahrhunderts haben allerdings wesentliche Charakteristika des französischen Staatsgedankens nicht grundsätzlich in Frage gestellt. Die vorliegende Lehrveranstaltung wird zunächst auf die geschichtlichen Ursprünge sowie auf die wesentlichen Entwicklungsschritte im Hinblick auf Zentralisierung und „Uni-tarisierung” in Frankreich eingehen. Vor diesem historischen Hintergrund werden in einem zweiten Schritt die Einzelheiten der Reformen bzw. Reformversuche im Hinblick auf Dezentralisierung und Regionalisierung seit dem 2. Weltkrieg untersucht. Im Mittelpunkt stehen hier zunächst die „großen” Reformen in den 1980er Jahren und im zu Ende gegangenen Jahrzehnt („1. und 2. Phase der Dezentralisierung”). Eine Problemanalyse der seither existierenden Beziehungen zwischen „Zentrum” und „Peripherie” im politisch-administrativen System Frankreichs bildet schließlich die Grundlage für eine Untersuchung bzw. Bewertung der sog. „Territorialreformen”, die die Staatspräsidenten Nicolas Sarkozy und François Hollande in jüngerer Zeit, d.h. zwischen 2008 und 2016, durchgeführt haben bzw. haben durchführen lassen. In Folge der Proteste der sog. „gilets jaunes” seit November letzten Jahres hat nunmehr auch der amtierende Präsident, Emmanuel Macron, konkret eine „weitere 3. (?!) Phase der Dezentralisierung” angekündigt. Diese ständige Abfolge von Reformen („Dauerbaustelle”) legt die Vermutung nahe, dass die bisherigen Reformansätze nicht – oder allenfalls sehr begrenzt – in der Lage waren, die „Strukturprobleme” des politisch-administrativen Aufbaus Frankreichs zu lösen. Vor diesem Hintergrund wird im Seminar auch die aktuelle Frage behandelt werden, welches die konkreten Reformansätze Macrons sind und ob diese besser als ihre Vorgänger geeignet erscheinen, die angesprochenen Probleme zu lösen. Diese Diskussion ist eingebettet in die grundsätzliche Fragestellung, in wieweit die Strukturdefizite des Staatsaufbaus die Zukunftsfähigkeit Frankreichs angesichts von globalen und europäischen Herausforderungen in zentraler Weise beeinträchtigten.
Zum Erwerb von 5 ECTS-CP (Hausarbeiten) werden im Seminar u.U. Zusatzleistungen erwartet (über die in den jeweiligen Modulhandbüchern vorgesehenen Leistungsanforderungen hinaus und gemäß den entsprechenden Regelungen in den einschlägigen Studienordnungen, z.B. in Form von Referaten).Themen für Referate oder andere Zusatzleistungen sowie für Hausarbeiten können auch schon in den Sprechstunden vor Beginn der Vorlesungszeit übernommen werden (siehe zu diesen Sprechstunden jeweils die aktuellen Aushänge an meinem Büro, Geb. A5 3, Zi. 1.16, 1. Stock).
Themenplan, geplanter Ablauf der Lehrveranstaltung
15.10.2019:
Einführung in das Thema und in den Ablauf der Veranstaltung, Ihre Wünsche und Vorstellungen, Themenvergaben
Erster Teil: Zentralisierung und „Unitarisierung” in Frankreich: Historische Ursprünge und Entwicklungsschritte, erste Reformbemühungen
22.10.2019:
Ursprünge und Entwicklung von Zentralisierung und Unitarisierung im „Ancien Régime” und seit der Französischen Revolution
29.10.2019:
‚Dysfunktionalitäten’ der Zentralisierung: Beginn der Reformdebatte und erste Regionalreformen bzw. Reformversuche 1945-1980
Zweiter Teil: Die „beiden Phasen” der Dezentralisierung
05.11.2019:
Die „große” Dezentralisierung ab 1981: Gesamtansatz und wesentliche Reformelemente
12.11.2019:
Die sog. 2. Phase der Dezentralisierung 2002-2004
19.11.2019:
Zentrale Problemfelder des politisch-administrativen Aufbaus Frankreichs nach den beiden „Phasen” der Dezentralisierung
Dritter Teil: „Territorialreformen”?
26.11.2019:
„Reformruine”?: Die Territorialreform unter Staatspräsident Nicolas Sarkozy (2010)
03.12.2019:
„3. Phase der Dezentralisierung” oder „Territorialreform? Das Reformpaket unter Staatspräsident François Hollande (2013-2016) und seine unmittelbaren Konsequenzen
10.12.2019:
Zwischenschritt: Formalia, Prüfungsfragen und – mit Blick auf Hausarbeiten – Fragen zum wissenschaftlichen Arbeiten
17.12.2019:
Bewertung der jüngsten Reformbemühungen zum Verhältnis von politischem Zentrum und „politischer Peripherie” in Frankreich
(Vorlesungsfreie Zeit zu/zwischen Weihnachten und Neujahr: 23.12.2019 – 03.01.2020)
07.01.2020:
Ursprüngliche Positionen des amtierenden Staatspräsidenten Emmanuel Macron zu „Dekonzentration”, Dezentralisierung und Territorialreformen
14.01.2020:
Die Einflüsse von „Gelbwestenbewegung”, „grand débat national” und (sozio-) öko-nomischer Entwicklung in Frankreich auf die heutigen Positionen von Macron zur Dezentralisierung
21.01.2020:
Die konkreten Reformvorschläge/Reformvorhaben unter Macron zu Dezentralisierung und den Problemen der territorialen Entwicklung
28.01.2020:
Was wären die „richtigen” Reformen? Erste Maßstäbe zur Bewertung der Reformvorhaben von Macron
04.02.2020
Abschlusssitzung, Fazit und Ausblick
Erste Literatur- und Informationshinweise (detailliertere Literaturhinweise werden im Rahmen des Seminars themenbezogen gegeben):
Europäisches Zentrum für Föderalismusforschung (EZFF) Tübingen, Jahrbuch des Föderalis-mus, Föderalismus, Subsidiarität und Regionen in Europa, Bände 1 – 19 (2000-2018), Baden-Baden (Nomos) (über die unten genannten Beiträge im Einzelnen hinaus …; allerdings: nicht alle o.a. Bände des „Jahrbuchs” enthalten jeweils einen Beitrag zu Frankreich!)
Halmes, Gregor, Kommunalreformpolitik in Frankreich, Vorgeschichte und Stand der Dezentralisierung im Bereich der lokalen Gebietskörperschaften, in: Archiv für Kommunalwissenschaften (AfK), Deut-sches Institut für Urbanistik (difu), 24. Jg. 1985, Erster Halbjahresband, S. 38-56
Halmes, Gregor, Regionenpolitik und Regionalismus, Vorgeschichte und aktueller Stand der französi-schen Dezentralisierungspolitik, in: Raumforschung und Raumordnung, 42 (1984) 4-5, S. 177-183
Halmes, Gregor, Territorialreform und „3. Phase der Dezentralisierung” – Reformdebatte und aktuelle Reformen in Frankreich, in: Europäisches Zentrum für Föderalismusforschung (EZFF) Tübingen (Hg.), Jahrbuch des Föderalismus, Föderalismus, Subsidiarität und Regionen in Europa, Band 15, Baden-Baden (Nomos) 2014, S. 301-318
Halmes, Gregor, Regionalreform und „stille Revolutionen” in Frankreich, in: Europäisches Zentrum für Föderalismusforschung (EZFF) Tübingen (Hg.), Jahrbuch des Föderalismus, Föderalismus, Subsidiarität und Regionen in Europa, Band 16, Baden-Baden (Nomos) 2015, S. 245-261
Hoffmann, Martinot, Vincent, Kann die Französische Republik sich dezentralisieren?, in: Schild, Joachim/ Uterwedde, Henrik (Hg.): Die verunsicherte Französische Republik, Baden-Baden (Nomos) 2009, S. 117-137
Hoffmann, Martinot, Vincent, Zentralisierung und Dezentralisierung in Frankreich, in: Kimmel, Adolf/ Uterwedde, Henrik (Hg.), Länderbericht Frankreich, Bonn (Bundeszentrale für politische Bildung) 2012, S. 92-110
Kempf, Udo, Das politische System Frankreichs, 5., aktualisierte und erweiterte Aufl., Wiesbaden (Springer VS) 2017
Macron, Emmanuel, Révolution, C’est notre combat pour la France, Paris (XO Editions) 2016
Uterwedde, Henrik, Frankreichs gezähmter Jakobinismus: Regionen im zentralisierten Staat, in: Europä-isches Zentrum für Föderalismus-Forschung (EZFF) Tübingen (Hg.), Jahrbuch des Föderalismus 2000, Föderalismus, Subsidiarität und Regionen in Europa, Band 1, Baden-Baden (Nomos) 2000, S. 158-175
Uterwedde, Henrik, Frankreich: eine ‚Denkpause’ in der Dezentralisierung?, in: Europäisches Zentrum für Föderalismus-Forschung (EZFF) Tübingen (Hg.), Jahrbuch des Föderalismus 2008, Föderalismus, Sub-sidiarität und Regionen in Europa, Band 9, Baden-Baden (Nomos) 2008, S. 316-327
Uterwedde, Henrik, Frankreich, eine Länderkunde, Opladen etc. (Verlag Barbara Budrich) 2017 |