Zur Eindämmung der Corona-Pandemie haben die Staaten in Europa die Schließung von Museen, Theater, Kinos, Konzertsälen und Denkmälern ebenso wie der Universitäten (teilweise), Bibliotheken, Archive, der meisten Schulen, aber auch Klubs angeordnet. Live gestaltete Kultur ist weitgehend unmöglich geworden. Künstler*innen und die Veranstaltungswirtschaft sind in höchsten Existenznöten. Ersatz-Veranstaltungen im Internet oder digitale Derivate bilden nur einen schwachen, höchst eingeschränkten Abglanz dessen, was sinnliches Erleben und die Erfahrbarkeit von Kultur in der direkten Teilhabe ermöglicht. Kunst und Kultur sind ausschließlich noch indirekt via TV, Medienplayer oder PC zu Hause „auf dem Sofa“ zu erleben. Eine spezifische Netzkunst, die ähnlich wie Livekultur die Fantasie freisetzt, hat sich in der Pandemie bisher nicht entwickelt.
Die Corona-Pandemie hat den Höhenflug einer Kultur, die seit den Achtziger-jahren des 20. Jahrhunderts von einem systematischen Kulturmanagement befeuert wurde, radikal und in kurzer Zeit gestoppt. Unser aktuelles Kulturkonzept steht auf dem Prüfstand. Kulturentwicklung, ihre Vermittlung und Steuerung sind in der Corona-Pandemie eine vollständig andere und werden nach der Pandemie neuen Regeln folgen müssen. Wird Kultur zum nachgeordneten Vollzug staatlicher Anordnung? Eine maximale Herausforderung für das Kulturmanagement!
In den Achtzigerjahren des 20. Jahrhunderts ereignete sich mit der Entdeckung der Alltagsmenschen für die Kultur ein umfassender Turn. Diese neue Ausrichtung strebte nicht weniger als die Adressierung von Kultur und ihrer Einrichtungen über die Fachkolleg*innen hinaus an alle Menschen an. Diese besucherorientierte Kultur 2.0 löst eine Kulturhaltung ab, die seit der wissenschaftlichen Orientierung der Kultur am Anfang des 19. Jahrhunderts allein die Objekte der Kultur (Kultur 1.0) im Fokus hatte.
Seitdem vervielfachten sich in Mitteleuropa die Kultureinrichtungen und damit die Notwendigkeit, Finanzmittel, Organisationsressourcen und Themenentwicklung nachhaltig und zielorientiert zu steuern. Umfassende Kommunikation mobilisierte die Alltagsmenschen und ermöglichte durch die breite finanzielle Teilhabe der Kulturnutzer*innen den Kulturinstitutionen hohe Deckungsbeiträge zu ihren Kulturbudgets. Die Entdeckung der transkulturellen Industriekultur mit ihrer Verbindung von künstlerischer Kreativität und technischer Innovation und touristischen Zielsetzungen der Kultur lässt eine kulturwirtschaftliche Orientierung (Kultur 3.0) entstehen. Die umfassende „Internet-Einbettung“ und die Errungenschaften der Digitalisierung als weiteres künstlerisches Instrument und vielfältige Informations- und Dokumentationsplattform ermöglichten eine neue Kulturdimension (Kultur 4.0). Stehen wir mit der Corona-Krise vor einer anderen Wirklichkeit von Kultur und den Notwendigkeiten einer neuen Steuerung mit geänderten Herausforderungen, einer Kultur 5.0?
Die Lehrveranstaltung thematisiert die Entstehung und die Dimensionen des Kulturmanagements sowie ihrer Entwicklung am Anfang des 21. Jahrhunderts. Sie behandelt die großen Umbrüche der Kultur und des Kulturmanagements durch die Corona-Pandemie sowie die Potenziale für den Neustart einer gesteuerten Kultur danach. Von den Studierenden werden u. a. Semesterleistungen in Form von Referaten, selbst produzierten Video-Clips und „Instagram Storys“ sowie ungewöhnliche emotionale Idee erwartet. Auf Basis der Ergebnisse der Lehrveranstaltung thematisiert ein großes Planspiel die Potenziale und die Grenzen eines Kulturmanagements nach der Corona-Krise.