Die Vorlesung "Theorien und Methoden der Kulturwissenschaft", die nach den Studienanpassungen zum WiSe 2021/22 die VL "Interkulturelle Kommunikation und Kulturwissenschaft" ersetzt, wird fortan jeweils thematisch ausgerichtet sein. In diesem Jahr ist sie dem Thema "Reparation(en)" gewidmet:
VL Unser Zeitalter der Reparation(en)
Die große Zukunftsaufgabe Europas ist die Neugestaltung seiner Verhältnisse zur Welt. Nach Jahrhunderten des Zukunftsoptimismus der Moderne befindet sich Europa in einer Übergangsphase: Zukunftsperspektiven lassen sich heute wesentlich nur noch aus reparativen Prozessen gewinnen. Dies liegt an den Beschädigungen und Zerstörungen, welche die Moderne selbst dialektisch mit hervorgeberacht hat, die unsere Zeit prägen und die von uns „reparatives” Denken und Handeln verlangen. Hierzu zählen die politische, ökonomische und symbolische Aufarbeitung von 500 Jahren Kolonialismus und Imperialismus; die Zusammenführung dieser Welterfahrung mit der Opferschaft der Totalitarismen des 20. Jahrhunderts; die Aufhebung der Spaltung vieler Gesellschaften unter den Folgen der sich seit den 1970er Jahren rasant beschleunigenden Globalisierung; ökonomische, soziale und kulturelle Ausgleichsprozesse auf allen Ebenen sowie die Erkenntnis, dass Ressourcenbeschränktheit und Klimawandel zu einer ökologischen Wende nicht nur der Technik, sondern der Lebenskulturen zwingen. Will man unsere Zeit also (nicht allein) in antagonistischen Prozessen verstehen, ist es nicht übertrieben zu sagen, dass wir in einem Zeitalter der Reparation(en) leben.
Das wirft zahlreiche Fragen auf: Was bedeutet überhaupt „reparieren”? Wie lassen sich „Gesellschaften” oder „Natur” reparieren? Wie gehen wir transgenerationell mit Traumata um? Kann man Verbrechen gegen die Menschlichkeit wie etwa Völkermorde überhaupt reparieren? Dabei kommen wir an der ethischen Frage des Irreparablen und auch des komplexen Zusammenhangs von materieller Entschädigung und symbolischer Anerkennung nicht vorbei: in welchen Formen können wir reparieren? Dies führt schlussendlich auch zu geschichtsphilosophischen Fragen: Soll überhaupt repariert werden, und wenn ja, warum? Wer ist der „Richter” der Geschichte, wer sind die Akteure? Gibt es so etwas wie Sinn in der Geschichte? Welche Bedeutung hat ein universalistisches Menschheitsverständnis für Vorstellungen von Reparation?
Die Vorlesung ist der Versuch einer Annäherung an diese Grundfragen der Gegenwart. In ihr werden historische Beispiele mit systematischen Reflexionen verwoben.
Unser Zeitalter der Reparation(en)
19.10.2021 Was bleibt von der Moderne?
26.10.2021 Wer richtet die Geschichte? Transzendenz und Gerechtigkeit
2.11.2021 Was bedeutet „die Geschichte reparieren“?
9.11.2021 Schichtungen: Der 9. November (plus 9/11) und das Humboldt-Forum
16.11.2021 Nach dem Völkermord: Wie sich neu verbinden?
23.11.2021 Restitution als Problem der Reparation
30.11.2021 Transgenerationalität
7.12.2021 Der “dunkle Körper” der Demokratie
14.12.2021 Bewusstsein der Verwundung
4.1.2022 Biografie und Verlust
11.1.2022 Gastvortrag Prof. Alexandre Gefen (CNRS/Sorbonne Nouvelle): « Réparer le monde – pratiques réparatives des littératures francophones contemporaines »
18.1.2022 Das Blut auf der Zunge
25.1.2022 Klima und Menschheit
1.2.2022 Ein Fluss hat Rechte
8.2.2022 Klausur
|