Kurzkommentar |
In der wirkmächtigsten Poetik des 17. Jahrhunderts, dem Buch von der Deutschen Poeterey, kennzeichnet der gelehrte Autor Martin Opitz Dichtung als „eine verborgene Theologie / vnd vnterricht von Goͤttlichen sachen”, die „zue erbawung der Gottesfurcht / gutter sitten vnd wandels erfunden” wurde und „die baͤwrischen vnd fast viehischen Menschen zue einem hoͤfflichern vnd bessern leben” anleiten soll. Diese funktional-normative Positionsbestimmung von Dichtung ist ein herausragendes Beispiel für die spezifische Eingebundenheit frühneuzeitlicher Literatur in biblische, theologische und konfessionelle Diskurse. Sie schöpft ihre Stoffe und Motive zunächst aus dem breiten Fundus der Bibel und vermittelt durch Bibelversivikationen, Predigten, Erbauungsschriften, Perikopendichtungen, Psalmenübetragungen und Bibeldramen nicht nur bibelkundliches Wissen, sondern auch ganz grundsätzliche dogmatische Kerngedanken des Christentums. Dabei besitzen die Texte nicht selten ein propagandistisches Element. Indem sie sich in den Dienst der konfessionellen Auseinandersetzungen der Zeit stellt, wird Literatur zur Waffe religionspolitischer Agitation in Reformation und Gegenreformation und zum Instrument wechselseitiger Diffamierung, etwa zwischen altprotestantischer Orthodoxie und Pietismus. Nicht zuletzt möchte diese Dichtung ihren christlich sozialisierten Rezipientenkreis für ein gottgefälliges Leben konditionieren, indem sie das Laster tadelt, zur Tugend ermahnt, seelsorgerisch erbaut und lebenspraktische Anweisungen zu Themen der Arbeit, der Ehe, der Kindererziehung, der Ökonomie des Hauses etc. formuliert, diese biblisch legitimiert und in einen heilsgeschichtlichen Horizont einbettet.
Der Vielfalt des Gegenstandes entsprechend sind auch die Themen des Seminars weit gefasst. Sie reichen von Martin Luther als theologischen Schriftsteller, der seine Wirkung nicht nur auf dem Feld der Theologie entfaltet, sondern mit seiner Bibelübersetzung ins Deutsche, seinen Kirchenliedern, Fabeln und der Orientierung am Laien einen wesentlichen Beitrag für die Ausbreitung der Reformation leistet, über reformatorische Mitstreiter wie Hans Sachs und Paul Rebhun, die Klerussatire als humanistisches Erbe in Schwank und Dialog, das Jesuitendrama, das vanitas-Motiv des Barock und die Kreuzestheologie in der Sonettistik des Andreas Gryphius, Elemente der Mystik im lyrischen Œvre der Österreicherin Catharina Regina von Greiffenberg, die physikotheologische Dichtung Barthold Heinrich Brockes, die dramatisierte Pietismussatire Adelgunde Victorie Gottscheds, die aufklärerisch-empfindsamen Oden Friedrich Gottlieb Klopstocks, Gotthold Ephraim Lessings Entwurf einer Theologie der Religionen in seinem dramatischen Gedicht Nathan der Weise bis hin zu Johann Wolfgang Goethes Prometheus-Hymne.
Das Proseminar findet gemäß Corona-Landesverordnung und unter Einhaltung der Vorgaben des Universitätspräsidiums in Präsenz statt. Daneben wird es einen Kurs in MS Teams geben, für den alle in HIS-LSF angemeldeten Teilnehmer*innen einen Zugangscode per E-Mail erhalten. Dort werden Texte und weitere Seminarmaterialien in den Kursdateien zur Verfügung gestellt. Vor Vorlesungsbeginn ist bitte folgende Lektüre in den angegebenen Ausgaben anzuschaffen:
Jakob Bidermann: Cenodoxus (RUB 8958)
Luise Adelgunde Victorie Gottsched: Die Pietisterey im Fischbein-Rocke (RUB 8579)
Gotthold Ephraim Lessing: Nathan der Weise (Reclam XL, 16102)
Am Ende des Semesters wird das Proseminar mit einer schriftlichen Hausarbeit abgeschlossen. Ein Klausurangebot besteht nicht. |