Seit den 1960er und 1970er Jahren entsteht in Österreich eine sogenannte Anti-Heimatliteratur, die sich – nach dem Zweiten Weltkrieg und der daran anschließenden kulturellen Restaurationszeit – kritisch mit dem tradierten österreichischen Heimatbegriff auseinander setzt. Die Autorinnen und Autoren greifen darin auf die Protagonisten, die ländlichen Schauplätze sowie traditionelle Topoi der Heimatliteratur zurück, aber verkehren diese: Statt einer heilen Welt wird die ländlich-bäuerliche Idylle als Nährboden des Faschismus entlarvt, die Natur wird bedrohlich dargestellt und bietet kein romantisierendes Refugium. Traditionelle Werte entpuppen sich als scheinheilig und Familienkonstellationen als dysfunktional. Die Heimat wird zur ausweglosen Falle mit oft tödlichem Ende. Mit kritisch-anklagendem oder ironisch-demaskierendem Duktus stellen die Texte den gängigen Heimatbegriff infrage und bilden einen Gegendiskurs im historisch-kulturellen Selbstverständnis ihrer Entstehungszeit.
Das Proseminar bietet einen Überblick über das Genre der Anti-Heimatliteratur in Österreich. Wir untersuchen (mehr oder weniger) kanonische Texte der österreichischen Literatur, die in ihre literarhistorischen Kontexte sowie die gesellschaftspolitischen Diskurse ihrer Zeit eingeordnet werden. Nach einem kurzen Blick auf prominente Beispiele der Heimatliteratur im 19. Jahrhundert legen wir den Fokus auf Texte der Anti-Heimatliteratur aus den 1960er und 1970er Jahren, z.B. von Thomas Bernhard, Peter Handke und Elfriede Jelinek. Aber auch Beispiele aus späteren Jahrzehnten und der österreichischen Gegenwartsliteratur werden wir untersuchen.
Hierbei werden die in den Grundkursen erworbenen Kompetenzen (der Besuch von Grundkurs Literaturwissenschaft 1+2 wird vorausgesetzt) literaturwissenschaftlicher Analyse und Interpretation in unterschiedlichen Gattungen vertieft.
Am Semesterende schließt das Proseminar durch eine thematische Hausarbeit ab, ein Klausurangebot besteht nicht. |