Kommentar |
Neben der herkömmlichen Art der Geschichtsschreibung -der sog. „Annalistik“ wie z.B. in den Annalen und Historien des Tacitus (ca. 56 - 120 n. Chr.)- erscheint in der römischen Kaiserzeit ein zunehmendes Interesse an der Biographie. Der griechische Schriftsteller Plutarch (50 – 120 n. Chr.) beschäftigt sich mit Biographien historischer Figuren sowohl in seinen Kaiserviten (von Augustus bis Vitellius), als auch in seinen Parallelbiographien, in denen er Griechen und Römer paarweise darstellt. Im letzteren Werk, und zwar in der Doppelbiographie zu Alexander und Caesar (Alexander 1, 2-3), grenzte er seine Vorgehensweise von der Geschichtsschreibung deutlich ab: „Denn ich bin nicht Geschichtsschreiber, sondern Biograph (...) Oft sagt ein unbedeutender Vorfall, ein Ausspruch oder ein Scherz mehr über den Charakter eines Menschen aus als die blutigsten Schlachten (...)“. Die Gattung der Biographie fokussiert folglich nicht ausschließlich auf historische Ereignisse, sondern vielmehr auf bekannte Persönlichkeiten; demnach stellen chronologische und geographische Richtigkeit keine Priorität mehr dar. Die Charakterstudien, welche daraus entstehen, liefern eher moralisch-ethische Vorbilder.
An diesen Grundsätzen orientiert sich Gaius Suetonius Tranquillus (ca. 70 – 122 n. Chr.), der uns in den 8 Büchern von seinen Kaiserbiographien 12 Viten (von Julius bis zu Domitian) hinterlassen hat. Darüber hinaus bemüht er sich zwischen historischen Quellen (zu denen er als Leiter der kaiserlichen Kanzlei Hadrians 121-122 n. Chr. freien Zugang hatte) und unterhaltsamen Anekdoten ein Gleichgewicht herzustellen. Seine Biographien thematisieren nicht bloß das Regieren eines Alleinherrschers, sondern folgen einem bestimmten Schema: 1. Herkunft, 2. Jugend und Erziehung, 3. militärisch-politische Leistungen, 4. Privatleben, 5. Vorzeichen bei Geburt und Tod, 6. Tod, Begräbnis und Testament. Mit einem klaren Sprachstil porträtiert er den jeweiligen Herrscher im antithetischen Modell von Tugenden und Fehlern. Suetons moralisierende Bemerkungen helfen dem Leser, seine eigenen Schlüsse zu ziehen.
Suetons Biographie von Nero Claudius Caesar Augustus Germanicus (od. Lucius Domitius Ahenobarbus 37 – 68 n. Chr.) erscheint 50 Jahre nach dessen Tod. Tacitus’ Informationen zu Nero (Annales I, 1, und XIII) sowie die von Plutarch (Galba 2,1, Moralia 7. 269-99) ebenso. Tacitus beschreibt die Julisch-Claudische Dynastie im Allgemeinen als „ungerecht“. Plutarch hält Nero für einen Tyrannen. Sueton setzt mit der negativen Darstellung des Kaisers fort.
Die Textstellen und Übersetzungen werden auf Moodle allen Teilnehmer/-innen zugänglich sein. |
Literatur |
Übersetzungen - Sueton, Nero, lateinisch/ deutsch, hrsg. u. übers. von H. Martinet, Tusculum, 2004 - De vita Caesarum. Die Kaiserviten, Liber VI Nero, lateinisch/deutsch, Artemis & Winkler Verlag, 2004 - Sueton, Kaiserbiographien, Gesamtausgabe, 6. Buch: Nero, übers. und komm. von U. Blank-Sangmeister, M. Giebel, H. Martinet, D. Schmitz, Reclam Verlag - Sueton, Nero, lateinisch/deutsch, hrsg. u. übers. von M. Giebel, Reclam Verlag, 2001 - (online) lateinisch/deutsch: https://www.gottwein.de/Lat/suet/nero01.php - (online) lateinisch/englisch: http://penelope.uchicago.edu/Thayer/E/Roman/Texts/Suetonius/12Caesars/Nero*.html - (online) ins Englische: https://www.gutenberg.org/files/6400/6400-h/6400-h.htm#link2H_4_0007 - (online) ins Englische: http://www.perseus.tufts.edu/hopper/text?doc=Perseus%3Atext%3A1999.02.0132%3Alife%3Dnero - (online) ins Englische: https://www.poetryintranslation.com/PITBR/Latin/Suetonius6.php
Kommentar - (1992) W. Kierdorf, Sueton, Leben des Claudius und Nero: Textausgabe mit Einleitung, kritischem Apparat und Kommentar, Schönigh, Paderborn/München/Wien/Zürich
Sekundärliteratur (fakultativ zum weiterlesen) - (2021) Tristan Power, Collected Papers on Suetonius, Routledge, London - (2020) Maya Menon, ‚De Monstris“: The madness of Isolation in Suetonius’ „Caligula“ and „Nero“, Univ. of. Kentucky (https://uknowledge.uky.edu/cgi/viewcontent.cgi?article=1049&context=honprog ) - (2019) Verena Schulz, Decontructing Imperial Representation: Tacitus, Cassius Dio and Sutonius on Nero and Domitian, (Mnemosyne Supplements 427), Brill - (2016) Anonymous, Suetons Kaiservita und die Darstellung Neros, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/377546 - (2015) S. Steger, Kaiser Nero und die Macht der Gerüchte, Potsdam Universität (https://publishup.uni-potsdam.de/opus4-ubp/frontdoor/deliver/index/docId/8127/file/steger_bachelor.pdf ) - (2015) Alexei V. Zadorojnyi, Colour in Suetonius’ Lives oft he Caesars, in: Rhiannon Ash et al. (ed.), Fame and Infamy, Essays on Characterisation in Greek and Roman Biography and Histotiography, 284-298 - (2014) Susan A. Curry, Nero Quadripes: Animalizing the Emperor in Suetonius’s Nero, Arethusa 47. No. 2, 197-230 (https://www.jstor.org/stable/26322601 ) - (2012) J. Krüger, Nero, der römische Kaiser und seine Zeit, Köln/Weimar/Wien - (2002) Holger Sonnabend, Geschichtsschreiber als Biographen in der römischen Kaiserzeit, in: Geschichte der antiken Biographie, Springer-Verlag/ J. B. Metzler, Stuttgart, 125-45 - (2002) ders., die Klassiker des Genres: Plutarch und Sueton, Geschichte der antiken Biographie, Springer-Verlag/ J. B. Metzler, Stuttgart, 146-82
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