Kommentar |
„Ich wundere mich, daß ein Opferbeschauer nicht lachen muß, wenn er einem (anderen) Opferbeschauer begegnet”. Zustimmend zitiert Cicero in seiner Schrift De divinatione (II 51) dieses kritische Diktum des alten Cato. Andererseits: Er selbst hatte die Funktion eines augur („Vogelschaudeuters”), im Rom seiner Zeit ein nicht nur religiös, sondern ebenso politisch wichtiges Amt, seit 53 v.Chr. selbst inne. Wie stand er denn nun tatsächlich zur religiösen Praxis der Zukunftsdeutung? In De divinatione setzt er sich mit der Frage, ob sie sich begründen läßt oder nicht am Ende doch jeder Grundlage entbehrt, mit der bei ihm üblichen philosophischen Methodik im Dialog auseinander. Er verfaßte das Werk in der kritischen Endphase seines Lebens; es gehört in die politisch hochdramatische Zeit um die Ermordung Caesars und den Kampf um die alte res publica libera, für Cicero eine Periode der politischen Ohnmacht, die er mit systematischer philosophischer Autorentätigkeit kompensierte. Vom Herbst 45 bis zum Mai 44 v.Chr. entstanden die drei thematisch zusammengehörigen Werke De natura deorum, De fato und De divinatione. Sie alle handeln in unterschiedlicher Schwerpunktsetzung von Religion, Theologie und von der damit zusammenhängenden Frage nach dem Schicksal (fatum) und dem Maß, in dem sich menschliches Denken und Tun als vorherbestimmt ansehen läßt. Dieses Problem verbindet sich nicht nur mit einem faszinierenden typischen Element der antiken Kultur (der Weissagung durch religiöses Ritual), sondern beschäftigt die gesamte Geistesgeschichte der Menschheit in den unterschiedlichsten Ausprägungen und erlangt in unserem abendländischen Kulturkreis geradezu elementare Bedeutung, nicht zuletzt für die Herausbildung unseres freiheitlichen Staats- und Gesellschaftsideals im Politischen und im Literarischen für die Idee des großen Kunstwerks Tragödie (denn was wäre der tragische Konflikt ohne den Schicksalsgedanken?). |
Literatur |
eine ausführliche Bibliographie wird unter MS Teams zur Verfügung gestellt
als Textausgabe empfohlen: Marcus Tullius Cicero: Über die Wahrsagung / De divinatione. Lateinisch - deutsch. Herausgegeben, übersetzt und erläutert von Christoph Schäublin (3. Aufl. Berlin / Boston 2013)
zur Einführung in die historischen und sachlichen Hintergründe: David Engels: Das römische Vorzeichenwesen (753–27 v.Chr.). Quellen, Terminologie, Kommentar, historische Entwicklung (Stuttgart 2007) |