Kommentar |
Trotz seines alttestamentarischen Ursprungs ist Friedrich Hebbels Drama über Macht/Ohnmacht, maßlosen Überfluss/überflüssigen Mangel, Imperialismus/Fanatismus/Opportunismus, Krieg, Helden-/Märtyrertum, Lust am Töten/Sexualität/Repression und die Abwesenheit Gottes hochaktuell: Wie definiert sich Moral im ökologischen, wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und persönlichen Niedergang? Heiligt der Zweck die Mittel oder umgekehrt? Gibt es ein Richtiges im Falschen? Gelten überhaupt noch Verpflichtungen jenseits des größtmöglichen (Lust)Gewinns? Was darf Gewissen kosten?
HOLOFERNES ist in unserer Lesart ein Sinnbild einer maßlosen, entfesselten hyperkapitalistischen Großmacht. JUDITH steht stellvertretend für ein strukturell, technologisch, militärisch, wirtschaftlich und geopolitisch unterlegenes Staatsgebilde. In Form eines theatralischen Politainment-Duells der Weltanschauungen treten JUDITH und HOLOFERNES als Kontrahent*innen gegeneinander an und werben - buchstäblich mit allen verfügbaren Mitteln - um die Gunst des Publikums und dessen Votum. Ihre irritierende wechselseitige sexuelle Anziehung erhöht den Reiz dieses Spektakels. Die übrigen Spieler*innen agieren als „Chor“ der Anhänger*innen/Gegner*innen, aus dem weitere Hebbel-Figuren immer wieder individuell hervortreten. Durch die chorische Zusammenführung sind alle Spieler*innen gleichermaßen gefordert, wir eliminieren weitestgehend „Nebenrollen“, experimentieren stattdessen mit der Vielfarbigkeit, Widersprüchlichkeit und Asynchronität innerhalb von Gruppen und stellen Mechanismen wie Voyeurismus, Gruppenzwang, Massenhysterie und Instrumentalisierung von Einzelschicksalen ins Rampenlicht. Wer am Ende den Kampf um die Meinungs-, Deutungs- und Stimmungshoheit für sich entscheidet und wer wem wie erliegt, werden wir spielerisch und mit dem nötigen Humor ausloten. |
Bemerkung |
von Miss Sara Sampson (Theater Ansbach) zu den Lessing-Tagen 2011 eingeladenmetzner&schüchner entwickelt und spielt sie seit 2015 eigene Theater-Performance-Formate, wie die bundesweit als Gastspiel gezeigte Nicht von schlechten Eltern (Theater Glocksee Hannover u. Theater unterm Dach Berlin) oder die musikalisch-literarische Live-Talk-Show inszeniert die Uraufführung von Tobias Schwartz’ Weißes Mäuschen-Warme Pistole (Theater am Markt u. Landestheater Eisenach), das im Rahmen des Jahresprojekts „NSU-Trauma eines Landes” mit dem 2. Preis des Demokratie-Preises Thüringen 2021 ausgezeichnet wird. An der Universität des Saarlandes hat sie erstmals 2011 einen theaterpraktischen Lehrauftrag inne.
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