Kurzkommentar |
Wenn Literaturwissenschaftler den Begriff Satire verwenden, dann verstehen sie darunter einerseits eine seit der Antike etablierte Textsorte oder andererseits eine gattungsübergreifende Schreibweise, bei der menschliche Laster und gesellschaftliche Missstände entlarvt und verlacht werden. Dazu bedient sich die Satire spezifischer Gestaltungsmuster und Darbietungsformen, die von rhetorischer Ironie, geistreichen Scheltworten, Typisierung, Wortspielerei, komödiantischen Elementen bis hin zu provokativer Verzerrung, hyperbolischer Überzeichnung und Pauschalisierung reicht. Der Spott kann im Mund von Narrenfiguren formuliert werden (Narrensatire) und sich gegen die Mitglieder der ordo-Gesellschaft (Ständesatire), gegen bestimmte Berufs- (Gelehrtensatire, Arztsatire, Bauernsatire) oder Gesellschaftsgruppen (Philistersatire), gegen die weltliche und geistliche Obrigkeit und ihre Institutionen (Adels- und Klerussatire), gegen rezente politische Ideologien und ihre Verfechter (politische Satire, NS-Satire), gegen konkrete Personen (Personensatire), gegen literarische Konkurrenten und poetologische Konzepte (Literatursatire) richten. Dabei beansprucht die Satire Normativität, indem sie moralische Werte und Tugendvorstellungen explizit oder implizit formuliert, die vom Lesepublikum als allgemeine Wahrheit anerkannt werden sollen. Damit hat die Satire auch stets ein didaktisches Element. Ihr suggestiver und kritischen Verstand einfordernder Appellcharakter kann auch für die spielerisch-witzige Diffamierung des überkommenen bürgerlichen Wertesystems in den Dienst genommen werden.
Ausgehend von einer terminologischen Abgrenzung des Satirebegriffs von anderen Termini wie Parodie, Komik, Pasquill, Polemik, Pamphlet und Groteske loten wir epochentypische Artikulationsformen des Satirischen aus. Der Lektürekanon umfasst Sebastian Brants große Moralsatire Das Narrenschiff, Hans Sachs’ Reformationsdialog Disputation zwischen einem Chorherren und Schuhmacher, Auszüge aus Hans Jacob Christoph von Grimmelshausens satirischem Barockroman Der abenteuerliche Simplicissimus Teutsch, Andreas Gryphius’ Schimpfspiel Absurda Comica Oder Herr Peter Squentz, Luise Adelgunde Victorie Gottscheds frühaufklärerische Pietismussatire Die Pietisterey im Fischbein-Rocke Oder die Doctormäßige Frau, Heinrich von Kleists Gerichtssatire Der zerbrochene Krug, Heinrich Heines politische Lyrik, Gerhard Hauptmanns naturalistische Komödie Der Biberpelz sowie eine Auswahl an Texten prominenter Satiriker der literarischen Moderne (Karl Kraus, Kurt Tucholsky und Erich Kästner). Das Proseminar baut auf dem erworbenen Grundkurswissen auf, führt in literaturwissenschaftliche Techniken und Arbeitsweisen ein und vermittelt Prämissen zur Anfertigung einer schriftlichen Seminararbeit, die als Prüfungsleistung am Ende steht. Die Lehrveranstaltung findet in Präsenz statt und setzt eine regelmäßige und aktive Teilnahme sowie die Bereitschaft zur Übernahme eines Referats voraus. Wegen des Feiertags am 10.04.2023 findet die erste Sitzung in der zweiten Vorlesungswoche (17.04.2023) statt. Alle in HIS-LSF angemeldeten Teilnehmer*innen erhalten rechtzeitig einen Zugangscode zum Teamskurs, wo Primärtexte und weitere Seminarmaterialien zur Verfügung stehen. Die Anschaffung folgender Texte in den angegebenen Ausgaben bei Reclam ist obligatorisch:
Andreas Gryphius: Absurda Comica Oder Herr Peter Squentz (RUB 7982)
L.A.V. Gottsched: Die Pietisterey im Fischbein-Rocke (RUB 8579)
Heinrich von Kleist: Der zerbrochene Krug (RUB 91)
Gerhart Hauptmann: Der Biberpelz (RUB 19165)
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