Die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts ist eine Zeit tiefgreifender gesellschaftlicher, politischer und kultureller Umwälzungen in Europa: Revolutionen, Kriege und Nationalisierung, Industrialisierung, ein explosionsartiges Bevölkerungswachstum sowie die rasante Entwicklung der Medienlandschaft tragen zu einer Erschütterung tradierter Ordnungen bei und werfen neue Fragen nach den Beziehungen zwischen Individuum und Gesellschaft auf.
Auf diese Fragen finden Autorinnen und Autoren der „Europäischen Realismen“ (Dethloff 2001) unterschiedliche Antworten. Eine besonders wichtige Bedeutung kommt in diesem Kontext der Erzählliteratur zu: „Aufgabe des modernen Romans scheint mir die zu sein, ein Leben, eine Gesellschaft, einen Kreis von Menschen zu schildern, der ein unverzerrtes Wiederspiel des Lebens ist, das wir führen“, schreibt Theodor Fontane 1886 (Werke III/1, 568).
Wie sieht das Leben aus, das so auf Papier gebracht wird? Ist es tatsächlich ein „Wiederspiel“ von Wirklichkeit, von Leben in der Gesellschaft des ausgehenden 19. Jahrhunderts? Und welche formalen Mittel verwenden Autorinnen und Autoren, um „das Leben“ darzustellen?
Im Seminar werden diese Fragen anhand von programmatischen Texten über Realismus und Beispielen realistischer Erzählliteratur untersucht. Über die Analyse von Einzelwerken hinaus soll ,der Realismus’ als Epochenbegriff näher bestimmt werden – innerhalb der jeweiligen nationalsprachlichen Kontexte, aber auch vergleichend im Hinblick auf Differenzen und Überschneidungen zwischen den „Realismen“ unterschiedlicher Länder.
Die behandelten Texte werden Ihnen ganz oder in Auszügen auf Microsoft Teams zur Verfügung gestellt. |