Kommentar |
Wie in keinem Jahrhundert zuvor, wird die literarische Produktion im 20. und 21. Jahrhundert von theoretischen Reflexionen über das Wesen der Literatur, von Manifesten und Aufrufen zu literarischen Revolutionen, von Neukonzeptionen des Literaturverständnisses begleitet.
Diese Beobachtung ist auch und gerade für die Entwicklung des Theaters und der für Theaterproduktionen verfassten Texte zutreffend. Gleichwohl ist das Theater ein ungleich komplexerer Gegenstand als die Literatur im engen Sinne: Wenn Theatertexte für die Bühne verfasst werden, dann vollenden sie sich eigentlich nicht in der Lektüre, sondern in der Aufführung. Der Prozess der Aufführung aber ist nicht nur von den Autor:innen nicht mehr zu kontrollieren, sondern er ist grundlegend das Ergebnis der Zusammenarbeit verschiedener Menschen und Künste. Anders gesagt: Hier sind der Wirkmacht der theoretischen Überlegungen einerseits andere Grenzen gesetzt, als etwa im Bereich der Prosa, andererseits konkurrieren theoretische Überlegungen zur Dramatik mit pramatischen Forderungen der Bühne wie mit den Kunsttheorien der an einem Theaterabend beteiligten anderen Künste.
Im Seminar wollen wir zentrale Theaterentwicklungen des 20. und 21. Jahrhunderts im Spiegel theoretischer Überlegungen zum Theater wahrnehmen und entdecken. Nach einer Einführungssitzung wollen wir uns zunächst mit dem Theater des Symbolismus vertraut machen anhand eines Textes des belgischen Literaturnobelpreisträgers Maurice Maeterlinck. Von hier führt der Weg über einige Manifeste aus dem frühen 20. Jahrhundert (werden per pdf zur Verfügung gestellt) zum einflussreichsten Theatertheoretiker des 20. Jahrhunderts, Bertolt Brecht, dann aber über das absurde Theater von Ionesco und Beckett, über das politische Theater des brasilianischen Theatermacher Augusto Boal hin zum postdramatischen Theater des international tätigen Regiekollektivs Rimini Protokoll, endend mit dem einflussreichsten Theatermacher der Gegenwart: Milo Rau.
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Literatur |
Zur Anschaffung empfohlen:
Manfred Brauneck (Hg.): Theater im 20. Jahrhundert. programmschriften, Stilpreioden, Reformmodelle. Reinbek: Rowohlt 1982. (in vielen Auflagen erschienen, gut second hand zu erwerben, die Auflage ist egal).
Milo Rau: Das geschichtliche Gefühl. Wege zu einem globalen Realismus. Berlin: Alexander Verlag 2019. |