Kommentar |
Frankreich, so betont das Auswärtige Amt der Bundesrepublik, „ist Deutschlands engster und wichtigster Partner in Europa“ (Deutschland und Frankreich: Bilaterale Beziehungen, 26.06.2023). Bekanntlich ist diese enge Zusammenarbeit erst entstanden, seitdem vor 60 Jahren mit dem Élysée-Vertrag die Aussöhnung zwischen Frankreich und Deutschland besiegelt wurde. Bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs hatten Kriegstreiber auf beiden Seiten hingegen nach historischen Wurzeln einer vermeintlichen „Erbfeindschaft“ beider Nationen gesucht. Tatsächlich gab es über Jahrhunderte immer wieder kriegerische Auseinandersetzungen zwischen dem französischen Königreich und dem sogenannten Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation bzw. dessen Territorien. Auch wäre die europäische Geschichte vermutlich anders verlaufen, wenn bei der Kaiserwahl 1519 nicht der spanische König Karl, sondern der französische König Franz I. gewählt worden wäre.
Doch ist dies, wenn überhaupt, nur die halbe Geschichte. Denn neben dynastischen und diplomatischen Beziehungen, die freilich die Rahmenbedingungen absteckten, waren die benachbarten Länder über Jahrhunderte auf vielfältige Weise miteinander verflochten. Zudem wurde die deutsch-französische Grenze bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts kaum von den Zeitgenossen wahrgenommen; vielmehr gab es einen territorial zersplitterten Grenzraum fließender sprachlicher und kultureller Übergänge. Wirtschaftsbeziehungen wurden durch Kaufleute und migrierende Fachkräfte aufgebaut, Studenten, Sprachlehrer und Geflüchtete trugen zum Kulturtransfer und zur Wissenszirkulation bei. Daneben gibt es eine lange Geschichte gegenseitiger Wahrnehmungen: französische Stimmen hielten die Deutschen mitunter für Barbaren und attestierten ihnen einen Mangel an Esprit; unter den Deutschen lässt sich sowohl die Nachahmung französischer kultureller Vorbilder und Moden als auch die Abgrenzung davon beobachten. In politischer Hinsicht standen mit dem souveränen französischen Königreich und dem ständisch aufgebauten Mehrebenensystem des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation zwei unterschiedlich verfasste Gebilde nebeneinander.
Mit einem Fokus auf französisch-deutschen Beziehungen bietet die Vorlesung zugleich einen Überblick über die europäische Geschichte der Frühen Neuzeit vom Zeitalter der Reformation und des französisch-habsburgischen Antagonismus bis zur Französischen Revolution. Außerdem werden unterschiedliche methodische Ansätze erläutert, die in den letzten Jahrzehnten von der historischen Forschung ausprobiert und diskutiert worden sind, wie Vergleich, transnationale Geschichte, Kulturtransfer, histoire croisée und Verflechtungsgeschichte. |
Literatur |
Zur Einführung: Rainer Babel, Deutschland und Frankreich im Zeichen der habsburgischen Universalmonarchie 1500–1648 (WBG Deutsch-Französische Geschichte, 3), Darmstadt 2005; Guido Braun, Von der politischen zur kulturellen Hegemonie Frankreichs 1648–1789 (WBG Deutsch-Französische Geschichte, 4), Darmstadt 2008; Bernhard Struck/Claire Gantet, Revolution, Krieg und Verflechtung 1789–1815) (WBG Deutsch-Französische Geschichte, 5), Darmstadt 2008; Methodik: Michael Werner/ Bénédicte Zimmermann, Vergleich, Transfer, Verflechtung. Der Ansatz der Histoire croisée und die Herausforderung des Transnationalen, in: Geschichte und Gesellschaft 28,4 (2002), 607–636. |