Kommentar |
Das 18. Jahrhundert gilt im europäischen Diskurs als Zeitalter der Aufklärung und wird allgemein mit menschlichem Streben nach Erkenntnis, Wissen und Mündigkeit assoziiert. Die Berufung auf die Vernunft als zentrale Leitinstanz ist hierbei verbindendes Element. Aufklärer:innen aus den Hauptländern Frankreich, England und Deutschland verstehen sich durchaus als Kosmopolit:innen, denn die zentralen Schriften der Aufklärung werden über die Nationengrenzen hinaus gelesen, übersetzt und diskutiert. Es lassen sich gemeinsame philosophische Grundsätze ausmachen, ebenso präsent sind Diskurse um politische und soziale Gleichheit sowie das Interesse an naturwissenschaftlicher Erkenntnis und Reisen. Durch Projekte der Sprachnormierung, der volkssprachlichen Bildung und der Enzyklopädisierung von Wissen soll ein möglichst breites Publikum erreicht werden. Auch die Literatur der Epoche ist von diesen Tendenzen geprägt. Unter dem Paradigma des prodesse et delectare steht ihr Anspruch, den Menschen nützliches Wissen zur Lebensführung zu vermitteln.
Schaut man jedoch genauer hin, stellt man fest, dass diese Aufklärungsbestrebungen nicht auf die gesamte Menschheit zielen. Eine zentrale Kategorie, an der sich Unterschiede ausmachen lassen, ist das Geschlecht. So sind Frauen von der Erlangung der Mündigkeit im 18. Jahrhundert weit entfernt. Für sie gelten andere Bildungskonzepte, die mit den zeitgenössischen Gendervorstellungen einhergehen. Von den Wissenschaften, aber auch von der Partizipation an gelehrten Diskursen sowie der literarischen Produktion sind sie weitestgehend ausgeschlossen. Dennoch liegen literarische Texte von Autorinnen der Aufklärung vor, ihre schriftstellerische Tätigkeit vollzieht sich jedoch unter besonderen Voraussetzungen und ihre Werke werden anders rezipiert, als die männlicher Autoren.
Angesichts dieser (literar)historischen Konstellationen wählt das Seminar einen besonderen Fokus auf die Literatur der Aufklärung: Mit der Perspektive der Gender Studies untersuchen wir einerseits die zentralen Diskurse rund um den Themenkomplex „weibliche Gelehrsamkeit” und Genderkonzepte in der Aufklärung. Literarische Texte analysieren wir u.a. hinsichtlich der darin präsenten Geschlechterrollen oder den Zusammenhängen von Gender und Gattungskonzepten. Insbesondere die literarische Produktion von Autorinnen sowie deren Auseinandersetzung mit zeitgenössischen Genderkonzepten, z. B. in poetologischen Reflexionen, wird eine zentrale Rolle spielen. |