Kommentar |
Nicht nur die Universität des Saarlandes feiert 2023 ihr 75-jähriges Jubiläum, sondern auch der Staat Israel. Als dessen Gründungsvater gilt Theodor Herzl (1860-1904) – seine Idee eines souveränen, völkerrechtlich legalisierten Judenstaates war bahnbrechend für die jüdische Nationalbewegung, bis heute wird er auf Hebräisch „der Seher des jüdischen Staates” genannt. Bevor sich Herzl dem politischen Zionismus zuwandte (erst um 1895), hatte er ein kosmopolitisches Leben als assimilierter jüdischer Bürger der österreichisch-ungarischen Monarchie geführt. Er reiste viel zwischen Wien und Paris, wo er als Pressekorrespondent arbeitete. Seine journalistische Tätigkeit verband er mit Literatur und verfasste neben Kritiken und Feuilletons u.a. Theaterstücke. Unzählige Biografien widmen sich Herzls widersprüchlicher Persönlichkeit. Wer war er eigentlich? Ein unerfüllter und unter Depressionen leidender Schriftsteller, ein modernen Dandy, ein charismatischen Staatsmann ohne Staat? Wegen der faszinierender Mehrdeutigkeit wurden Herzls Leben und Werk schnell zur Projektionsfläche und zum Bezugsfeld für Literatur und Kunst.
Im Seminar beschäftigen wir uns mit Herzls einzigem Roman – der Utopie „Altneuland”. Das Werk gehört zu den wirkungsmächtigsten Texten, die das Denken über Gemeinschaft geprägt haben. „Altneuland” erschien 1902 in Leipzig und wurde umgehend in mehrere Sprachen übersetzt, nach dem hebräischen Romantitel ist die Stadt Tel Aviv benannt. Zum einen untersuchen wir die im Roman postulierte Vision einer „neuen Gesellschaft”, zum anderen schauen wir uns die Zirkulation dieser Vorstellung in der Literatur- und Kunstgeschichte genau an. Dabei berücksichtigen wir verschiedene Medien und Künste (Graphic Novel, zeitgenössische Kunst) und lesen Prosa aus unterschiedlichen Sprachräumen, z.B. Auszüge aus den Werken der Autoren wie Franz Kafka, Bruno Jasienski, Philip Roth, Eshkol Nevo oder Camille de Toledo. Wie inklusiv ist die neue Gesellschaft in „Altneuland”? Kann es eine Gemeinschaft geben, der alle unabhängig von ihrer Herkunft und Zugehörigkeit zu „race, gender and class” angehören können? Oder ist es „nur ein Märchen”?
Wichtige Vorbemerkung: Wir werden das Lesepensum in Kompaktsitzungen aufteilen. Deshalb findet das Seminar freitags von 10 bis 13 Uhr (2 x 45 Min. + 60 Min.) an 9 Terminen statt. In der ersten Sitzung am 27.10.2023 werden die weiteren Termine genannt. |
Literatur |
Bibliografie (Auswahl):
Herzl, Theodor (1985): »Wenn ihr wollt, ist es kein Märchen.« Altneuland/Der Judenstaat. Hg. von Julius H. Schoeps. Königstein/Ts.: Jüdischer Verlag im Athenäum Verlag. Jasienski, Bruno (2020). Pest über Paris. Aus dem Polnischen übers. von Klaus Staemmler. Wien: bahoe books. Kafka, Franz (1994): Der Verschollene. Kritische Ausg., Gesammelte Werke, Bd. 2. Hg. von Hans-Gerd Koch. Frankfurt a. M.: Fischer. Nevo, Eshkol (2013): Neuland. Aus dem Hebräischen übers. von Anne Birkenhauer. München: dtv. Roth, Philip (1993): Operation Shylock: a confession. New York u.a.: Simon & Schuster. Toledo, Camille de; Pavlenko, Alexander (2020): Herzl: eine europäische Geschichte. Graphic Novel. Aus dem Französischen übers. von Eva-Maria Thimme. Berlin: Jüdischer Verlag. |