Kommentar |
Lange Zeit ein Nischenthema, hat Anarchismusforschung seit einigen Jahren Konjunktur. Dies gilt nicht mehr nur für die internationale Forschung, sondern auch für den deutschsprachigen Raum. 2021 hat es der Anarchismus sogar zum deutschen Historikertag geschafft – nämlich als Gegenstand einer globalgeschichtlichen Sektion. Das ist bezeichnend, denn der Aufschwung der Anarchismusforschung hängt nicht nur mit einem erstarkten politischen Interesse an basisdemokratischen Ideen und Praktiken und dem Wiederaufstieg der Labour History zusammen, die „vergessene“ Traditionen der Arbeiterbewegung ins Blickfeld gerückt hat. Er hat auch wesentlich damit zu tun, dass Anarchist:innen infolge von Arbeitsmigration und politischem Exil wie kaum eine andere soziale und politische Bewegung des 19. und 20. Jahrhunderts transnational und global agierten. Im Licht zeitgenössischer Terrorismusdebatten interessiert Anarchismus zudem als eine Bewegung, die phasenweise ostentative Gewalt befürwortete und zahlreiche Attentäter hervorbrachte. Das Seminar nimmt Anarchismus nicht nur als politische Idee, sondern auch und vor allem als soziale Bewegung, Praxis und Lebensform vom 19. Jahrhundert bis in die Gegenwart in den Blick. Was ist Anarchismus und wie hat er sich historisch entwickelt? Wer waren die Anarchist:innen, was taten und wie lebten sie? Wie organisierten sie sich, wie und mit welchen Medien kommunizierten sie –gerade auch über nationalstaatliche Grenzen hinweg? Wie wurden sie wahrgenommen, wie verhielten sie sich zu anderen sozialen Bewegungen und Subkulturen, was war ihr politischer, gesellschaftlicher und kultureller Einfluss? Als Quellen von besonderem Interesse ist dabei für uns die anarchistische Presse. Das Seminar bietet eine hervorragende Möglichkeit, vergleichende, transfer- und globalgeschichtliche methodische Ansätze kennenzulernen und zu erproben. |
Literatur |
Einführende Literatur: • Mike Finn: Debating Anarchism. A History of Action, Ideas and Movements, New York 2021 • Fabian Lemmes: Neue Wege der historischen Anarchismusforschung (19. bis 21. Jahrhundert), Teil I: Grundlagen und Konturen eines expandierenden Forschungsfeldes, in: Archiv für Sozialgeschichte 60 (2020), S. 435-484. • Daniel Loick: Anarchismus zur Einführung, Hamburg 2017. • Dominique F. Miething, Anarchismus, in: Samuel Salzborn (Hrsg.), Handbuch Politische Ideengeschichte. Zugänge – Methoden – Strömungen, Stuttgart 2018, S. 196-207. • Carl Levy/Matthew S. Adams (Hg.): The Palgrave Handbook of Anarchism, Cham 2019 • Peter Marshall: Demanding the Impossible. A History of Anarchism, London 1992, Neuaufl. 2008. |