Kommentar |
„Freund! Vetter! Bruder! Kampfgenosse!“, so redet Kurt Tucholsky in einem Gedicht aus dem Jahre 1918 Lukian an, und er hebt als Merkmal der Wesensverwandtschaft hervor: „Und Gott sei Dank: nichts war dir heilig, du frecher Hund!“ Erheblich mißlauniger fällt einige Jahre vorher das Verdikt des bedeutenden Gräzisten Wilamowitz aus, der unseren Autor als „Journalisten“ abwertet (!).
Man sieht, das Bild des um 120 n.Chr. in Syrien geborenen Lukian schwankt in der Geschichte. Immerhin wurden seine geistreichen Satiren über philosophische, religiöse und ganz allgemein menschliche Denkweisen seiner Zeit noch in der Neuzeit von Humanisten wie Erasmus, Reuchlin, Ulrich von Hutten, Hans Sachs und später vor allem von Christoph Martin Wieland als vorbildhaft geschätzt, und auch heute noch vermag die Buntheit seiner Themen, die bisweilen Phantastisches umfassen, das uns in dieser Form erst in den modernen Utopien wieder begegnet (Reisen zum Mond, in den Götterhimmel etc., und das alles mit Hilfe eines selbstgebauten „Flugapparats“), ebenso zu faszinieren wie der Witz seiner im übrigen nicht allzu schwer zugänglichen Sprache.
Die Schrift, die in diesem Semester möglichst vollständig gemeinsam gelesen werden soll, ist insofern vielleicht nicht unbedingt exemplarisch für diese Züge im Werk Lukians, als der Autor sich hier (auf den ersten Blick) einmal ernsthaft mit einem Thema auseinandersetzt, dessen Erörterung zu seiner Zeit selbst schon auf eine lange und rege Geschichte zurückblicken konnte: mit der Frage, wie man Geschichte schreiben solle. Es erstaunt jedoch nicht, wenn Lukian auch in dieser Schrift (übrigens dem einzigen erhaltenen antiken Traktat, das sich ausschließlich diesem Thema widmet!) seinen satirischen Spott über die typischen historiographischen Versatzstücke und über die oft pathetische und nicht eben wahrheitsorientierte Haltung so manchen Geschichtswerks aufblitzen läßt. |
Literatur |
eine ausführliche Bibliographie wird in der ersten Sitzung ausgeteilt
Textausgaben, Kommentare und Übersetzungen: Lukian: Wie man Geschichte schreiben soll. Griechisch und Deutsch. Hrsg., übers. und erl. von Helene Homeyer (München 1965; im Seminar und in der Ub vorhanden, auch antiquarisch noch erhältlich); Luciani opera recognovit brevique adnotatione critica instruxit Matthew D. Macleod, tomus III: libelli 44-68 (Oxford 1980; die kritische Standardausgabe)
zur einführenden Lektüre: Francesca Mestre / Pilar Gómez (Hrsgg.): Lucian of Samosata. Greek Writer and Roman Citizen (Barcelona 2010); Jennifer Hall: Lucian’s Satire (New York 1981; zugl. Diss. Cambridge 1967); Graham Anderson: The Second Sophistic. A Cultural Phenomenon in the Roman Empire (London 1993); Simon Swain: Hellenism and Empire. Language, Classicism, and Power in the Greek World, AD 50-250 (Oxford 1996, Ndr. 2003) |