Kommentar |
Patrick Charaudeau zeigt in seinem Buch Le discours politique auf, dass Politiker heute einen Mangel an Inhalten auf zweifache Weise zu beheben versuchen: erstens durch die Konstrukti-on eines Selbstbildes (ethos), um wie bei einem Filmstar automatisch die Zustimmung des Publikums zu gewinnen; zweitens durch die Theatralisierung des Diskurses selber. In diesem Proseminar soll insbesondere dem zweiten Aspekt nachgegangen werden: Ausgangspunkt ist dabei weniger die von Charaudeau vertretene kulturpessimistische Sicht einer Inhaltsleere politischer Debatten, sondern vielmehr die Einsicht, dass politische Positionen häufig dann erfolgreich vertreten werden, wenn ihrer Vermittlung eine rhetorische Strategie zugrunde liegt. Wie gelingt es Politikern in unterschiedlichen historischen Konstellationen, durch die Kunst der Rede und eine Theatralisierung des Diskurses ihr Publikum zu überzeugen und Entscheidungen in ihrem Sinne herbeizuführen, Stimmungen zu befördern und zu kanalisieren? Wir werden uns in einem ersten Schritt mit historischen und insbesondere systematischen Grundlagen der Rhetorik befassen. Seit der Antike liefert die Rhetorik eine Begrifflichkeit zu Produktionsstadien der Rede, Redeteilen, sprachlichen Mitteln, Wirkungsfunktionen der Re-de. Diese Begrifflichkeit kann uns als heuristisches Instrumentarium bei der Analyse französischer Reden dienen. Dabei konzentrieren wir uns – mit Ausnahme eines Exkurses zur Rhetorik der Französischen Revolution (Danton, Il nous faut de l’audace; Robespierre, Les principes de la morale politique) – vor allem auf die Zeit nach 1871. Mit jeder Rede erarbeiten wir uns einen historischen Kontext, wodurch dieses Proseminar auch zu einer Repetitorium zur französischen Zeitgeschichte wird. Neben der rhetorischen Analyse der Reden werden mithin Kenntnisse zu politischen Positionen, Parteien und Konflikten vertieft. Ein besonderer Schwerpunkt wird ferner darauf gelegt, die jeweiligen medialen Vermittlungsinstanzen mit in die Reflexion einzubeziehen. Für die Reden der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts soll daher stets auch auf Audio-/Videomaterial zurückgegriffen werden, um performativen Elementen (actio / pronuntatio des Redners) nachgehen zu können.
Vorgesehen sind u.a. folgende Texte, wobei sicher nicht alle Reden extensiv im Seminar, sondern z.T. auch in Hausarbeiten zu behandeln sind. Ferner ist es – je nach Interessenlage der Teilnehmerinnen und Teilnehmer – auch möglich, zu einzelnen Reden komplementäre Texte (Repliken politischer Gegner) verstärkt hinzuzuziehen:
Jules Ferry, La politique coloniale de la France Aristide Briand, Une barrière contre l’irréflexion Philippe Pétain, Annonce de la demande d’armistice Charles de Gaulle, L’appel aux Français Charles de Gaulle, Paris libéré Robert Schumann, Pour une Fédération européenne André Malraux. Les femmes de la résistance Georges Pompidou, Ce matin le calme est revenu en France Charles de Gaulle, Je ne me retirerai pas Françoise Giroud, L’Europe des femmes Jacques Delors, Les nouveaux défis de l’histoire Simone Veil, Le développement social dans le monde François Mitterrand, Cinquantième anniversaire de la fin de la guerre Jacques Chirac, La grande rafle de 1942 Jacques Chirac, Les changements climatiques dans le monde Nicolas Sarkozy, Pour un nouveau traité européen
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