Kommentar |
Nach langjähriger Auszeit erlebt das Paradigma Sprache und Kultur zurzeit ein Comeback, dessen Auswirkungen nahezu überall zu spüren sind. Ausgehend von der Soziolinguistik in den 70-er Jahren hat sie einen Kulturalisierungsprozess in Gang gesetzt, der sehr bald weite Teil der Sozialwissen-schaften erfasste. In der Germanistik erreichte die Entwicklung zu-nächst die Landeskunde, in der Form der konfrontativen Semantik (Müller 1981), der interkulturellen Pragmatik (Wierzbicka 1991, House 1994) und der interkulturellen Landeskunde (Müller-Jacquier 2001).
Angehend von der Einsicht, dass jeder Spracherwerb zugleich auch ein Kulturerwerbsprozess ist, ist der kulturelle Ansatz nun heute auch im systemsprachlichen Bereich des Deutschen als Fremdsprache angekommen. Als eine der ersten Vorstöße in diese Richtung befasst sich die kulturkontrastive Grammatik von Götze et al. 2009 mit der kulturell-kognitiven Prägung morphologischer und syntak-tischer Strukturen und untersucht die kulturellen Ursachen von Spracherwerbsproblemen. Von dieser Basis ausgehend wollen wir uns im Seminar mit einer Reihe von weiteren lexikalischen, gramma-tischen und paraverbalen Phänomenen befassen, deren kulturelle Prägung für den Unterricht des Deutschen als Fremd- und Zweitsprache von Bedeutung sind. Die oft beklagte „Schnappschuss-didaktik“ des Landeskundeunterrichts (Pauldrach 1992) ist u.a. darauf zurückzuführen, dass für die Schnittstelle Kultur und Sprachgebrauch noch kein Modell vorliegt, das eine systematische und didaktisch umsetzbare Beschreibung dieser Themen ermöglicht (Mueller-Liu, 2011).
Im Seminar wollen wir diesem entgegen arbeiten, indem wir auf der Basis des „Kultur als Kultext“- Modells (Wolf/Mueller-Liu, i.V.) die für den Fremdsprachenerwerb wichtigsten Schnittstellen zwischen Kultur und Sprache erarbeiten und über eine didaktische Umsetzung dieser Erkenntnisse reflektieren. Unter anderem sollen betrachtet werden: Lexikalische und phraseologische Phänomene, Raum- und Zeitwahrnehmung, Interaktionsverhalten, Interaktionsstrategien, „Höflichkeit“, Anredeverhalten und Pronomengebrauch, Aspekt und Tempus, Rektion der Verben (Verbergänzung) und bei Interesse das Phänomen „Sprach und Subkultur“, d.h. das identifikationsstiftende Sprachverhalten der Geschlechter („Language and Gender“) und Migrantengruppen („Türkendeutsch“). |