Kommentar |
In den vorwiegend von Männern geprägten Theologien, besonders der drei monotheistischen Offenbarungsreligionen des Christentums, Judentums und Islams, boten in früheren Zeiten ausschließlich volkstümliche Traditionen Frauen die Möglichkeit, ihre religiösen Erfahrungen zu artikulieren. Nur in diesen Kontexten konnten Gottessucherinnen und asketische Heilige ihre spirituellen und mystischen Ansätze entwickeln. Manche dieser spzifisch weiblichen Gottesvorstellungen werden heute von Frauen innerhalb ihrer Religion wieder entdeckt (z.B. bietet die jüdisch-mystische Tradition der Schechina, einer weiblichen göttlichen Dimension, Anknüpfungspunkte für gegenwärtige feministische Interpretationen).
Anders als das Bild, das die Überlieferung gern zeichnet, waren diese Frauen oftmals weniger tugendhafte Heilige und weltfremde Ordensfrauen als eigenwillige und kritische Querdenkerinnen, die in Konflikt mit den Verfechtern der Orthodoxie gerieten und nicht selten um ihrer Ansichten willen verfolgt und getötet wurden.
Während in den Religionen des Hinduismus und Buddhismus, besonders in der Gegenwart, mystische Strömungen vorhanden sind, in denen Frauen mitwirken, kennt schon die ältere islamische Tradition namhafe (Sufi-)Mystikerinnen. Zu ihnen zählen z.B. die im 9. Jahrhundert n.Chr. in Syrien lebende Rabi'a al-,Adawiyya und ihre Zeitgenossin Mariam von Basra.
Im Christentum konzentriert sich die Frauenmystik besonders auf die Zeit zwischen dem 12. und 14. Jahrhundert (in Spanien noch im 16. Jh.), als in fast allen Ländern Europas religiöse Laienbewegungen aufkamen, in denen vor allem Frauen aktiv waren. Vom 12. Jahrhundert an hatten Frauen (wie Hildegard von Bingen) erstmals die Möglichkeit, ihre religiösen Erfahrungen auch in Texten zu dokumentieren. Im 13. und 14. Jahrhundert traten in allen Ländern Europas (außer auf der Iberischen Halbinsel) Frauen auf, die mit ihren z.T. sehr kirchenkritischen und innovativen mystischen Ansätzen, jetzt auch in volkssprachlichen Schriften, auf sich aufmerksam machten und deren eigenwillige Persönlichkeiten bis heute in ganz unterschiedlicher Weise beeindrucken.
Im Seminar soll es vor allem darum gehen, die verschiedenen Kontexte einer Frauenmystik und -spiritualität in den Weltreligionen kennen zu lernen und evtl. gemeinsame Strukturen und Merkmale herauszuarbeiten und zu diskutieren. |