Kommentar |
Die in den Medien entworfenen Bilder des „Fremden“ oder der „Fremden“ besitzen eine entscheidende Bedeutung bei der Bewusstseinsbildung der Bevölkerung. Sie können sich in positiver Hinsicht auswirken, aber auch in negativer, indem sie zur Verfestigung von Vorurteilen und Stereotypen beitragen. Ein fiktionales Medium wie die Literatur spielt hierbei eine wichtige Rolle, vermag doch gerade sie mit ihren besonderen gestalterischen Möglichkeiten auf anschauliche und sinnliche Weise die emotionale Seite des Lesepublikums anzusprechen.
Im Zentrum des Seminars steht die Frage, auf welche Konstrukte der „Fremden“ wir in der modernen japanischen Literatur treffen. Wie wird die Begegnung mit ihnen gestaltet, und inwiefern können die literarischen Werke für die Interkulturalitäts-Thematik sensibilisieren und interkulturelle Kompetenz vermitteln? Nach einer einführenden theoretischen Betrachtung von Japans Verhältnis zum „Fremden“ allgemein soll anhand von repräsentativen literarischen Fallbeispielen diesen Fragen nachgegangen werden. Die ausgewählten Werke offenbaren einen Einblick in verschiedene geschichtliche Phasen Japans und beleuchten dabei die Interkulturalitätserfahrung aus ganz unterschiedlichen Perspektiven. Um einen Auslandsaufenthalt geht es in der Erzählung „Die Tänzerin“ (1890) von Mori Ôgai. Sie wirft aus japanischer Perspektive einen Blick auf das wilhelminische Berlin, in das nach der Öffnung Japans (1868) ein junger intellektueller Japaner zum Studium geschickt wird, um dem Fortschritt seines Landes zu dienen. Der Roman „Der Sturm“ (1968) von Inoue Yasushi spielt Ende des 18. Jahrhunderts, als Japan von dem Rest der Welt abgeschlossen war. Er behandelt das Schicksal von japanischen Schiffsbrüchigen, die auf russischem Boden stranden, und geht zudem auf den „re-entry shock“ nach der Heimkehr nach Japan ein. Steht in diesen beiden Werken die Interkulturalitätserfahrung von „Einreisenden“ im Vordergrund, so kommt es in „Der Fang“ (1959) des Nobelpreisträgers Ôe Kenzaburô aus der Sicht von Einheimischen zu einer Begegnung mit „Fremden“ im eigenen Land: Vor dem Hintergrund des Zweiten Weltkriegs nehmen japanische Dorfbewohner einen afroamerikanischen Soldaten gefangen. In der japanischen Gegenwart schließlich spielt der Roman „Go!“ (2000) des koreanischstämmigen Autors Kaneshiro Kazuki. Er widmet sich der koreanischen Minderheit in Japan und thematisiert aus der Innenperspektive eines jungen Japankoreaners das Leben mit zwei Kulturen. |
Literatur |
Mori, Ōgai: Die Tänzerin. In: Im Umbau, ausgew., aus dem Japanischen übertragen und erläutert von Wolfgang Schamoni – 1. Aufl. 1989, Frankfurt am Main, Insel-Verlag. ISBN 3-458-16015-9 Inoue, Yasushi: Der Sturm. Aus dem Japan. übertr. von Andreas Mrugalla 1995, Suhrkamp Frankfurt am Main. ISBN 3-518-39160-7 Ōe Kenzaburō: Der Fang. Aus dem Japanischen übertragen von Tatsuji Iwabuchi. Suhrkamp, Frankfurt am Main. ISBN 3-518-22178-7 Kaneshiro, Kazuki: GO!. Aus dem Japanischen übertragen von Nora Bierich, 2011. cass-Verlag, ISBN 978-3-9809022-5-0 |