Kommentar |
Zentrale Themen expressionistischer Literatur sind Urbanisierung, Technisierung, Mobilitätssteigerung und die Dissoziation von Gesellschaft und Subjekt. Das sind Prozesse, die sich schon lange vollziehen, im 18. Jahrhundert bündelten und gegen Ende des 19. Jahrhunderts zusehends beschleunigten. Sie lassen sich unter dem Begriff Modernisierung zusammenfassen. Die Makroepoche, die durch diese Prozesse bestimmt ist, ist demnach die Moderne. Die expressionistische Kunst reagierte auf diese ›gesellschaftliche‹ Moderne, indem sie diese ablehnte. Sie ist darum anti-modern zu nennen. Das steht im Widerspruch zu dem – in der Literaturwissenschaft lange kolportierten – Selbstverständnis der Expressionisten, die sich als ›moderne‹ Künstler, als Teil der ›ästhetischen‹ Moderne verstanden. Diesem spannungsvollen Verhältnis wird im Seminar nachgegangen, indem einzelne expressionistische Gedichte und Dramen als Antworten auf den Modernisierungsprozess gelesen werden. Im Vordergrund steht dabei die Frage, welche Funktion die ästhetischen Mittel – etwa der Reihungsstil in der Lyrik oder das Stationendrama – in der Gegenwartsdiagnose der Autoren erfüllen. Weil einige Klassiker des deutschen Films an diese Ästhetik anschlossen, lässt sich schließlich fragen, ob die Filmemacher damit auch die Normativität der Schriftsteller übernahmen.
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