Kommentar |
Die hohe Beachtung und Wertschätzung der klassischen Antike in der Goethezeit lässt sich vor allem auch am gestiegenen Interesse für die griechisch-römische Mythologie ablesen. Nach der allegorischen Mythendeutung bzw. -kritik in der Aufklärung setzt im späten 18. Jahrhundert eine intensive kulturtheoretische Auseinandersetzung mit dem Mythos ein, der nun als eigenständige, der modernen Spaltung von Religion, Wissenschaft und Philosophie vorausliegende, geistig-kulturelle Organisationsform betrachtet wird, die zudem besondere Affinitäten zur Poesie aufweist. Der Bezug auf die Mythologie dient deshalb oft der Gegenwartsdiagnostik und der poetischen Selbstverständigung. Dabei kann man stofflich und motivisch an den Fundus der überlieferten Mythen anschließen, aber auch nach mythischen Darstellungsformen und Textmustern suchen, die aktualisiert werden können. Den Autoren der Goethezeit ist jedoch stets präsent, dass unter den Bedingungen der Gegenwart nicht eigentlich Mythen, sondern nur Zitate, Imitationen und Kunstmythologien realisierbar sind und dass sie folglich in ihren theoretischen und poetischen Entwürfen stets auch eine Reflexion der kulturellen Distanz von Mythos und Moderne zu leisten haben.
Gegenstand des Seminars werden unter anderem viele Texte sein, die zu den kanonischsten der Goethezeit gehören: Goethes Prometheus-Dichtungen sowie die Iphigenie, Schillers Elegie Die Götter Griechenlandes, Hölderlins Dramenfragmente Der Tod des Empedokles, Novalis‘ Hymnen an die Nacht und Kleists Penthesilea. |