Kommentar |
Das Seminar führt in die Literaturgeschichte von ca. 1890 bis 1905 ein. Diese zeichnet sich durch eine neue Vielfalt der Strömungen, Programme und Stile aus, mit konkurrierenden Publikationsorganen in ganz verschiedenen geographischen Zentren (Berlin, München, Wien). Der Zusammenhang dieser vielen -Ismen, manchmal gar -Izismen, wird von ihren Anhängern meist nach Art einer ‚Überwindung‘ oder Überbietung‘ charakterisiert. Dennoch lassen sich aus dem Rückblick aber durchaus auch zahlreiche epochale Gemeinsamkeiten erkennen, sowohl bei den Konzepten (‚Krise‘, Spätzeitbewusstsein, ‚Leben‘, ‚Moderne‘, ‚Ich‘, ‚Stimmung‘, Décadence, Nervosität) als auch bei den Motiven (Garten, Tanz, Teppich) und Themen (Körper und Psyche, Milieu, Naturwissenschaft, Kunst und Wirklichkeit). Dies ist nicht nur daher zu erklären, dass die Strömungen untereinander Bezug nehmen, sondern gleichermaßen alle auch, auf die eine oder andere Weise, auf allgegenwärtige zivilisatorische Entwicklungen der Zeit antworten wie Technisierung, Verstädterung, neue soziale Mobilität, Medienrevolutionen etc. In diesem kulturellen Klima kommt es auf dem Gebiet der Literatur zu einer Reihe von sehr nachhaltigen Innovationen: Figurenkonzepte und Weltentwürfe können nun nach ganz neuen Regeln gebildet werden, es entstehen neue perspektivierende Erzählweisen, Tropenverwendungen, Genres und materialästhetische Techniken.
Im Seminar wollen wir diese Zusammenhänge anhand von exemplarischen Textanalysen und -interpretationen herausarbeiten, etwa bei Hugo von Hofmannsthal, Arthur Schnitzler, Frank Wedekind, aber auch bei Arno Holz und Gerhart Hauptmann. Wir werden also explizit auch die Autoren des sog. Naturalismus mit einbeziehen, deren Werk sonst oft aus dem Epochenzusammenhang der Jahrhundertwende herausgelöst wird. Zudem werden wir immer wieder auch Wissenskontexte der Literatur in den Blick nehmen: Naturwissenschaft, Philosophie und Psychologie. |